Geschichten über Kalbe Milde
 

 


 

 


 
Die Rektorschule in Calbe a. M. und ihre Leiter

(Teile dieses Aufsatzes von Pfarrer Mosenthin sind auch in dem Aufsatz "Von der Schule in Kalbe" enthalten. Auf Grund seiner Komplexität ist er trotzdem vollständig wiedergegeben. H. Krüger 2023)

Vor einiger Zeit - im Dezember 1935 – berichtete die Calbenser Zeitung, dass die Volksschule in Calbe in ihr neues in der Schützenstraße belegenes neues Gebäude vor 25 Jahren, also im Jahre 1910 eingezogen sei. Der unhaltbare Zustand, dass die Schule bis dahin an 3 verschiedenen Stellen, sogar in einer Baracke auf dem Kirchhofe in der Mitte der Stadt sich unzählige Jahre notdürftig hatte einrichten müssen, hatte sein langersehntes Ende gefunden.
Es dürfte interessant sein, dem Ursprung der Schule in Calbe nachzugehen, soweit ein solcher sich überhaupt feststellen lässt. Die älteste Nachricht besagt, dass die Herren von Alvensleben in Calbe dem Kantor in Calbe einen ausreichenden Besitz von Land, Wiese und Gehölz zur Nutznießung im Jahre 1507 zugewiesen hätten. Die zweite Nachricht nennt schon ein Schulhaus am 27. November 1555. An eben diesem Tage beschenkten die Herren von Alvensleben urkundlich den Inspektor Elias Hoffmann, welcher von 1548 bis zu seinem am 25. April 1579 erfolgten Tode als erster evangelischer Prediger in Calbe a. M. wirkte, um seine große Familie (11 Kinder) im Falle seines Todes sicher zu stellen, mit einem Hause auf der Südwestecke des Kirchhofes, wo zuvor – also vor 1555 - die Schule gestanden." Diese Nachricht findet sich als handschriftliche Notiz des Oberpredigers Wagner in einem Kirchenbuche in Calbe. Wir können die Lage dieser ältesten Schule also genau feststellen, da das dem Elias Hoffmann geschenkte Haus den meisten Calbensern noch bekannt ist und erst im Jahre 1929 zwecks Freilegung der Kirche niedergenommen wurde. Es stand die Schule vor 1555 also auf dem Kirchhofe, an der südwestlichen Ecke desselben - Gardeleger und Stege- Ecke und war, wie ihre Stelle auf dem Kirchhofe erweist, ohne Zweifel ein kirchliches Gebäude.

Die Schenkung machte den Bau eines neuen Schulhauses erforderlich. So wurde im Jahre 1562 die Rektorschule erbaut als kirchliches Gebäude in der Nähe der St. Nikolaikirche an der Stelle, auf welcher jetzt das evangelische Gemeindehaus steht. Bis zum Jahre 1909 hat dort die sogenannte, „Rektorschule" gestanden, in ihrem Äußeren dem Hause an der oben genannten südwestlichen Kirchhofsecke sowie dem diesem letzteren gerade gegenüberliegenden Organistenhause ähnlich, mit einem an beiden Seiten abgewalmten Dach, wie die anderen beiden Häuser es auch zeigen. An der 1562 erbauten Rektor- oder Kantorschule standen die Worte in lateinischen Hexametern (Versen):
Ut rosa dat flores, flos fructus, fructus odores, Sic schola dat mores, mos census, census honores
zu Deutsch: Wie die Rose Blüten bringt, die Blüte Früchte, die Frucht Wohlgerliche, so bringt die Schule Sitten, die Sitte Wohlstand, der Wohlstand Ehren.
Am Ende standen die Worte: Anno salutis reparata MDLXXXVI Schola officina spiritus sancti instaurata,
zu Deutsch: Die im Jahre des Heils 1586 erneuerte Bildungsschule des Heiligen Geistes wieder in Stand gesetzt.
Ut rosa dat flores, flos fructus, fructus odores, Sic schola dat mores, mos census, census honores zu Deutsch: Wie die Rose Blüten bringt, die Blüte Früchte, die Frucht Wohlgerliche, so bringt die Schule Sitten, die Sitte Wohlstand, der Wohlstand Ehren. Am Ende standen die Worte: Anno salutis reparata MDLXXXVI Schola officina spiritus sancti instaurata, zu Deutsch: Die im Jahre des Heils 1586 erneuerte Bildungsschule des Heiligen Geistes wieder in Stand gesetzt. Es war die Schule also eine Lateinschule, der Leiter derselben ein studierter Mann, der fein gutes Latein sprach und die Kinder im Lateinischen unterrichtete. Sie lernten auf dieser Bildungsschule die Anfänge des Latein, konnten die Inschrift über dem Eingang ihrer Schule ins Deutsche übersetzen, lernten ihre lateinischen Psalmen und Gesänge für die Gottesdienste in der nahen Kirche, sangen das Gelernte unter Leitung ihres Rektors, der zugleich Kantor an der Kirche war, nicht nur in der Kirche, sondern auch bei den Leichenfeiern angesehener Bürger, besonders bei der Familie von Alvensleben, wenn etwa eine Leiche ihres Geschlechts zur Beisetzung von Calbe oder von Zichtau aus z. B. nach dem Kloster Wilsnack oder nach Havelberg überführt wurde. An der Kuhbrücke vor dem Gardeleger Tor wurde der Leichenzug mit Gesang empfangen, zur vorläufigen Leichenfeier der Verstorbene in der Kirche unter Gesang aufgebahrt und an einem der nächsten Tage wieder mit Gesang eine Strecke Weges aus der Stadt hinaus begleitet. Wiederholt berichtet das älteste Kirchenbuch von 1627, dass die Schüler beim Leichenbegängnis eines Mitgliedes der von Alvenslebenschen Familie - solche Beisegnung fand der größeren Feierlichkeit wegen des Abends oder Nachts bei Fackelbeleuchtung statt z. B. in den Jahren 1627, 1640, 1645 in der Kirche gesungen haben. Auch wurde der Schulmeister d. h. der Rektor mit etlichen Knaben zu einer Taufe bei der von Alvensleben'schen Herrschaft nach Zichtau angefordert. Bei einer solchen Feier vermerkt das Kirchenbuch, dass der Pfarrer, also der Oberpfarrer, dafür 4 Dukaten, der Schulmeister 1 Dukaten, der Prediger eine Binde (weiße Halsbinde) und die Schüler nichts erhalten hätten. Eine Leichenprozession war sehr vornehm und feierlich aufgezogen. Als Gebhard von Alvensleben am 21. Mai 1667 beigesetzt wurde, schritt dem Leichenzuge voran der Marschall. Es folgte die Kantorei, d. h. der Kantor mit seinen Schülern, dann die Prediger, scheinbar aus allen Patronatsorten der Alvenslebens, der Pfarrer, welcher die Leichenpredigt hielt, also der Oberpfarrer, die Leiche des Verstorbenen, die Familie, die Gutsangestellten, die Gemeinde.

Die Rektorschule stammte aus katholischer Zeit. Mit dem Einzug des ersten evangelischen Pfarrers Elias Hoffmann wurde in Calbe 1548 die Reformation eingeführt.
In hochherziger Weise hatten die Herren von Alvensleben schon in katholischer Zeit für die Besoldung des Schulmeisters, der Rektor und Kantor in einer Person war, Sorge getragen und seine Stelle 1507 mit ausreichendem Landbesitz ausgesteuert, dessen Nutzung dem Rektor zustand. Die diesbezügliche Urkunde führt uns wohl noch weiter über das Jahr 1507 hinaus, da wir annehmen dürfen, dass schon vor dieser festen Besoldung mit Landbesitz der Calbenser Kantor sein Kirchenamt ausgeübt, nebenbei gelegentlich bei Festen, bei Hochzeiten, Taufen und Leichenbegängnissen und anderen Familienfesten von Fall zu Fall sich seinen armseligen Unterhalt erwarb, und auch seinen Schülern einige Pfennige seines kärglichen Verdienstes abgab. Um dieselbe Zeit verdiente sich ja auch unser Martin Luther als Kurrendeschüler durch Singen feine Pfennige, seine Parteken, und hat später von sich gesagt „ich bin auch einmal solch Partekenhengst gewesen". Warum soll es in Calbe zu Luthers Jugendzeit nicht auch solche Kurrendeschule gegeben haben? Heute singen sich ja noch die Calbenser Schulkinder am Martinstage mit Begeisterung ihre Äpfel, Birnen, Nüsse oder gar Broatschen zusammen.

Im Jahre 1569 wurde auch das Organistenamt von den Herren von Alvensleben ebenfalls mit Landbesitz ausgesteuert. Beide Stellen erhielten damit eine feste Besoldung, und es wurde durch solche Dotation dem wilden Rennen nach armseligen Verdienst von Fall zu Fall ein Ende gemacht oder wenigstens Einhalt geboten. Also es gab schon vor 1507, schon zu Luthers Jugendzeit, in Calbe eine Kantorschule vor rund 450 Jahren. An dem vorher bezeichneten Spruchbalken wird sie eine Bildungsstätte des Heiligen Geistes genannt. Sie war eine Schule, in der Religion, Latein und Gesang, Kirchengesang gelehrt wurde.

Der Hinweis auf den heiligen Geist lässt vielleicht die Vermutung auch zu, dass die Gründung der Schule auf das Heilige Geist-Kloster in Salzwedel und zwar in der Vorstadt Perver zurückzuführen sei. Nach einer Urkunde vom 22. Februar 1378 kauft ein Gewert (Gebhard) von Alvensleben das Dorf Wernstedt vom Heiligen Geist-Kloster vor der Stadt Salzwedel. Unter den Zeugen dieses Verkaufs wird genannt ,Herr Kersten, gerner to Calue" Pfarrer zu Calbe. Das Dorf Wernstedt war neben Faulenhorst und Vahrholz eine Filialgemeinde von Calbe, und wurde von Calbe aus bis zum Jahre 1743, als Wernstedt und Faulenhorst zur Pfarre Zichtau kamen, bedient. Wenn also Wernstedt in solch naher Beziehung zu den Klosterbrüdern vom Heiligen Geist in Salzwedel stand, die übrigens auch ehemals das Patronat über Altmersleben und Butterhorst besaßen, so waren dieselben in Calbe gewiß auch bekannt, möglich, dass sie sich auch für die Ausbildung der Calbenser Jugend einsetzten. Über Vermutungen wird man freilich nicht hinauskommen, sondern nur feststellen können, dass es schon in Luthers Kindheit in Calbe eine Schule, die älteste Schule Calbes, die sogenannten Rektor- oder Kantorschule mit Latein gegeben hat. Freilich, allzuweit wird es mit dem Latein auch nicht hergewesen sein.
Wenn die Schüler einen lateinischen Meßgesang richtig lesen und auch übersehen, sowie sonst notdürftig noch einige lateinische Sätze niederschreiben konnten, wird es für den Anfang ausgereicht haben. Wer studieren wollte, konnte sich in Gardelegen die weitere Vorbildung zum Studium aneignen.
Die Rektoren (oder Kantoren) deren Namen lückenlos seit 1627 festgestellt werden können, soweit eben die Kirchenbücher zurückreichen, waren ohne Ausnahme studierte Leute, sprachen und schrieben ihr glänzendes Latein, sowie es heute nur wenige Akademiker noch können. Als Kantoren waren sie kirchliche Beamte und hatten für die Gottesdienste und Festtage den Gesang zu liefern Kirchenchor oder Kinderchor. Zugleich lag ihnen die Verpflichtung ob, bei Behinderung eines Predigers der Gottesdienst für ihn zu übernehmen mit voller Predigt, also nicht etwa wie im Lesegottesdienst eine Predigt zu verlesen, sondern eine richtige Predigt zu halten. Sie hatten Theologie studiert, bekleideten neben ihrem „Kantor“ Amt also auch noch die Stelle als Hilfs- oder Nachmittagsprediger, und trachteten natürlich danach, eine eigene Pfarrstelle zu übernehmen. Wurde eine solche im Bereich der Kirchenpatrone frei, so berücksichtigten diese auch gern die Bewerbung ihres Kantors in Calbe. Der legte dieser theologisch ausgebildeten Kantoren in Calbe namens Becker, war der Vater der verewigten Frau Superintendent Müller, welcher als Calbenser Kantor ins Pfarramt von den Patronen berufen wurde. In der ersten Zeit nach Gründung der Lateinschule mag in vorreformatorischen Tagen einer der vielen Geistlichen, die es in Calbe - gab so werden 1473 im ganzen deren 8 an der Zahl genannt - sich um diese Schule wohl bemüht haben.

Wir stoßen also auf ein ehrwürdiges Alter der Calbenser Lateinschule vor fast einem halben Jahrtausend. Wenn man nun versucht, die Namen der einzelnen Rektoren bzw. Kantoren festzustellen, soweit die Kirchenbücher zurückreichen, so kann man ja eigentlich kaum mehr als Namen veröffentlichen. Namen sind ja nur Schall und Wort. Es fehlt der Inhalt, es fehlen die näheren Nachrichten, Briefe, Geschichten, Bilder, welche den leeren Namen erst das Leben geben. Die bloße Zusammenstellung wirkt auch eintönig und ermüdend. Wie ein Schleier hat die Vergangenheit ihren Staub hinaufgelegt. Aber es gelingt doch auch manchmal, den Schleier zu lüften und ein klares Bild zu erschauen und dann hat man seine Freude daran und stößt auf ein lebendig Stück Ortsgeschichte.

1. Um 1600 treffen wir auf einen Kantor Johannes Markus.

2. 1627-1631 wird ein Nikolaus Christiani als Schulmeister, Kantor und ludimoderator in Calbe genannt. Nach dem letzteren Titel hatte er das Spiel (ludus) der Orgel zu moderieren, zu mäßigen, also Orgel und Chorgesang in der Kirche in Übereinstimmung zu bringen. Auf der Kirchenglocke in Kremkau nennt eine Inschrift vom Jahre 1599 einen Pfarrer Christiani. Möglich, dass dies der Vater unseres Kantors ist.

3. 1631-1634 folgt Theotorikus Rodedichius ein Stendaler Kind als Schulmeister und ludimoderator, welcher später Rektor an der Stadtschule zu Stendal wurde. Seine Frau hieß Christina Gerken.

4. 1634-1641 Johannes Breslau, Rektor der Schule.

5. 1642-1645 Andreas Ostherr, Kantor, Vater vieler Kinder.

6. 1645-1675 Stephan Ballhorn, Kantor, ludimoderator, Schulmeister; in erster Ehe mit Elisabeth Ahle, in zweiter mit Else Lucia Olese, Pastorentochter aus Zethlingen verheiratet. Er starb in Calbe 1675.

7. 1675-1693 Christoph Heinrich Kirchner, Kantor verheiratet mit einer Tochter des Predigers Beyer, Ursula Hedwig, in Calbe. Gestorben 1693 in Calbe.

Ein Calbenser Kantor vor 200 Jahren

Von 1693 bis 1738 leitete Christoph Ballhorn die lateinische Rektorschule und versah in der Kirche wieder das Amt des Kantors, ein Mann, welcher wohl verdient, dass sein Name und seine Tätigkeit, und was sonst von seinem Leben bekannt ist, der Vergessenheit entrissen wird, ein Mann, der in der Ortsgeschichte eine der ersten Stellen einnimmt. Wenn man Elias Hoffmann, den ersten evangelischen Pfarrer als den bedeutendsten Prediger ansprechen muss, dann darf man vielleicht mit Recht behaupten, dass Christoph Ballhorn der bedeutendste Rektor und Kantor in Calbe gewesen ist; und er war ein Calbenser, geboren und gestorben in Calbe. Beruflich tätig nur in seiner lieben Heimatstadt Calbe. Wo er geboren ist, wissen wir, nämlich in der alten, im Jahre 1562 erbauten, mit den lateinischen Versen gezierten Rektorschule in Calbe in der Stege. Wo er seine letzte Ruhestätte gefunden hat, wissen wir auch, nämlich in der altehrwürdigen Nikolaikirche im Ort, der er sein Leben lang gedient hat. Ist die Stelle in der Kirche auch unbekannt geblieben, Ballhorns Name soll aber nicht vergessen werden. Dem Kantor Stephan Ballhorn wurde im Jahre 1670 in Calbe von seiner zweiten Ehefrau, Else Lucia Giese, einer Pastorentochter aus Zethlingen, ein Sohn namens Christoph, der spätere Rektor und Kantor Christoph Ballhorn geboren. In der Rektorschule erhielt der Knabe nach seines Vaters 1675 erfolgtem Tode von dessen Nachfolger, dem Rektor Kirchner, seine erste Ausbildung, besonders in der lateinischen Sprache, die er im späteren Leben meisterhaft zu schreiben und zu sprechen verstand. Er war also ein Waisenkind, und im Hause seiner lieben Mutter mag es oftmals sehr knapp und ärmlich zugegangen sein, umso mehr Ursache für ihn, recht fleißig zu sein. So machte er denn als kleiner Lateinschüler auch seine guten Fortschritte. Auf Anraten des damaligen Superintendenten Henrici bezog der noch nicht 20jähr. Jüngling die nahe Universität Helmstedt, um dort Theologie zu studieren. Als 1693 sein Calbenser Lehrer, der Rektor und Kantor Kirchner gestorben war, und somit die Stelle des Schulleiters in Calbe frei geworden war, beriefen die Herren von Alvensleben den erst 23 Jährigen zum Rektor der Calbenser Kantorschule. Wohl erschien das gewagt, aber es sollte sich voll rechtfertigen.

Die Familie Ballhorn muss eine hochangesehene gewesen sein. Nach einem von unserem Christoph Ballhorn aufgestellten Stammbaum leitete sich die Familie von einem Valentin Ballhorn ab, der in Luthers Tagen als Mönch im Kloster Huyburg im Huy, nördlich von Halberstadt, dem Beispiel des großen Reformators Luther folgte, das Kloster verließ, ein Weib nahm und einen bescheidenen evangelischen Hausstand begründete. Die Nachkommen dieses ehemaligen Mönches lebten dann als Kantoren und Lehrer an verschiedenen Orten in der Gegend unserer heutigen Provinz Sachsen. Mit Stephan Ballhorn, dem Vater und Vorgänger unseres Christoph Ballhorn war ein Zweig dieser bewährten Lehrerfamile nach Calbe übergesiedelt. Der junge, 23jährige Kantor rechtfertigte seine frühe Berufung an die Rektorschule durch seine Tüchtigkeit durchaus. Unter feiner Leitung blühte die Schule bald auf. Die ganze Zeit stand überhaupt in einem erfreulichen Aufschwunge. Von der Not des 30jährigen Krieges hatte sich auch Calbe sehr bald erholt. Der Hopfenbau brachte viel Geld in die Stadt und Umgegend. Schon in den Jahren 1650 bis 1668 werden 5 Hopfenführer verschiedenen Namens im Kirchenbuch vermerkt, welche den Hopfen zunächst aufkauften, in die Großstadt oder nach Süddeutschland fuhren, aber sehr bald den hierorts gebauten Hopfen an seinen Ursprungsort verwerteten und selber Bierbrauer wurden. Jedermann in Calbe nützte die Konjunktur aus und baute seinen Hopfen. Die Feldmark lag ja weniger in Ackerland, sondern zum größten Teil in Wiesen und Gehölz und Hopfendämmen. Calbes Wohlstand beruhte auf den 3 H, Hopfen, Heu, Holz. Der Zeitgenosse Christoph Ballhorns, der damalige Superintendent Henrici, konnte der Kirche das ansehnliche Geschenk von 2000 Reichstalern machen, wie er auch dem Hospital 200 Taler testamentarisch vermachte, zwei Menschenalter nach dem 30jährigen Kriege. Auch das Handwerk blühte auf. 1693, im Jahre der Amtsübernahme Christoph Ballhorns, meldete das Kirchenbuch auf lateinisch: bei uns wird alles durch Geld gutgemacht. In Calbe ließen sich um diese Zeit mehrere Tuchmacher, Kürschner, Hutmacher, Handschuhmacher und viele Leinweber nieder. Durch Geld gutgemacht wurde die Blutschande eines großen Kaufmanns Hans Steffens. Der musste freilich in der Kirche vor versammelter Gemeinde nach beendeter Feier des heiligen Abendmahls öffentlich am Altar Buße tun, ehe er seinerseits zum Genuß desselben wieder zugelassen wurde. Gesungen wurde dabei das Lied des altmärkischen Gesangbuches: Ach Gott und Herr, wie groß und schwer sind mein' begangenen Sünden". Es steht noch heute im Gesangbuche. Gewiss mit dem Wohlstande zog auch garbald ein Sittenverfall ein, wie es die Geschichte immer wieder lehrt. So wird über Unmäßigkeit und böses Wesen des öfteren geklagt und berichtet, dass sich Leute totgetrunken hätten. Als 1695 ein Valentin Krüger vom Blitz erschlagen war, sah die Gemeinde diesen Unfall als verdientes Gottesgericht eines schlimmen Sünders an. 1720 wurde der Gerichtsvoigt von einem gefangenen Diebe erschlagen, und in demselben Jahre wurde ein Mädchen wegen Kindesmordes im Burggraben gesäckt d. h. in einem mit Steinen beschwerten Sack ins Wasser geworfen. Der Schuster Ahlemann, ein Branntweintrinker, hat nicht so viel aufgebracht, dass er hätte seine Frau ehrbar mit Leichenpredigt beerdigen können. 1730 und 1750 wird über böses Leben und gottlose Leute geklagt. Nun ja, außer 6 Bierbrauereien in Calbe gab es hierorts noch mindestens 4 Branntweinbrennereien (Arnold, Bene, Zacharias, Schmidt), und dem Branntwein ward erheblich zugesprochen. Unser Kantor übernahm also 1693 als 23 Jähriger die Leitung der Rektorschule und das Kantoramt an der Kirche. Das Gehalt war in dieser Zeit wohl auskömmlich, das Land, von den Hopfenbauern sehr begehrt, war gut verpachtet oder vom Nutznießer selbst in Hopfendämme gelegt. So konnte der junge Kantor bald unter den Töchtern des Landes Umschau halten. Da ihm der Ruf eines tüchtigen, aus gutem Herkommen stammenden studierten Theologen anhaftete, war er überall wohl gelitten. In der Oberpfarre lernte er ein Fräulein Klara Margarete Heinzelmann, die Tochter des verstorbenen Superintendenten Johannes Heinzelmann kennen, verlobte sich mit ihr und führte sie als seine Ehegattin am 9. Oktober 1694 heim. Das Heim in der Rektorschule war freilich recht bescheiden, die Wohnung klein, der Hofraum beengt, ein winziger Garten lag dahinter. Wenn man die heutige Hofstelle des evangelischen Gemeindehauses überschaut, auf welcher die Rektorschule vorher stand, so muss man das alles als äußerst bescheiden ansprechen. Dazu musste ja der Hof noch mit den Schülern der Kantorstelle geteilt werden. Aber glückliche Zeiten konnte ein Kantorehepaar auch in dieser beengten Wohnung des bescheidenen Hauses verleben. Durch die Heirat wurde Ballhorn der Schwager des Superintendenten Justus Christian Heinzelmann in Gardelegen, der im Jahre 1717 einem Schlaganfall auf seiner Kanzel erlag. Ein jüngerer Schwager Dietrich Heinzelmann wirkte in Salzwedel als Arzt und Pestchirurg. Letzterer hatte übrigens eine Calbenser Pastorentochter zur Frau. Überhaupt stand Calbe zu Salzwedel in dieser Beziehung im glücklichen Austausch. Salzwedeler Kaufleute holten sich ihre Frauen aus wohlhabenden Calbenser Familien, wie umgekehrt Calbenser Bürger Salzwedeler Töchter heimführten. Welches Ansehen der tüchtige junge Calbenser Kantor genoß, läßt sich aus den vornehmen Paten seiner Kinder schließen. Der junge Vater durfte Familienglieder der Calbenser Patronatsherrschaft, der Pfarrerfamilien und der ersten „Kaufherren" in Calbe zu diesem christlichen Patenamt bitten. Dass die Gardeleger Superintendenten und die Salzwedeler Arztfamilie sich dazugesellten, war selbstverständlich. Im Laufe der Jahre wurde die Ehe durch die Geburt von 9 Kindern gesegnet, von denen 3 in zartem Alter starben. Von den 6 Kindern verheirateten sich zwei Schwestern, die eine an einen Chirurgus Arnoldi in Salzwedel, die andere an einen Quartiermeister Michael Wieser. Ein Sohn Ballhorns wanderte nach den Sundainseln im indischen Ozean aus und brachte es im Laufe der Jahre in Batavia auf Java als Kaufmann zum großen Wohlstande. Also ein Calbenser Junge brachte schon vor 200 Jahren solchen Unternehmungsgeist auf, dass er in Übersee sein Glück versuchte und es auch fand. Das war der spätere Großkaufmann Johann Christian Ballhorn, geboren 1700 in Calbe an der Milde. Am meisten freilich von allen Kindern des Kantors interessiert uns sein ältester Sohn Achaz Ludwig Ballhorn, geboren am 7. August 1698 in Calbe. Bei seiner Taufe stand ein Verwandter der Alvenslebens, ein Herr Achaz Ludwig von Bülow Pate, nach welchem der Täufling seine Vornamen Achaz Ludwig erhielt. Das war ein sehr kluges Kind, mit der hohen Begabung seines Vaters gleichfalls ausgestattet, sowohl für Latein, wie auch für Musik. Nach anfänglichem Schwanken zwischen der Musik und dem gelehrten Studium entschied er sich für die Theologie. Auf der Schule zu Gardelegen war er um seiner schöne Stimme willen, die der Vater ausgebildet hatte, zum Praefectus chori symphoniaci, also zum Leiter des ersten Gardeleger Sängerchors ernannt worden. Nach abgeschlossenem Besuch der höheren Schule in Gardelegen bezog Achaz Ballhorn zunächst des Vaters Universität Helmstedt, um seine Studien nachher in Halle zum Abschluß zu bringen. Dort suchte man ihn für die Frankeschen Anstalten als Lehrer zu gewinnen, aber ein Graf Callenberg berief ihn zum Adjunkten, d. h. Hilfsprediger des alternden Pfarrers Albert Gödecke nach Quickborn bei Pinneberg, nordwestlich von Hamburg. Das geschah im Jahre 1726, als Achaz 28 Jahre alt war und die Berechtigung zur Übernahme eines eigenen Pfarramts besaß. Es war nun natürlich, dass er ein solches erstrebte. So leicht gelang das freilich nicht. Die Pfarrer saßen auf ihren Pfarrstellen fest, so lange sie nur ihre Obliegenheiten erledigen konnten. Wenn es gar nicht mehr gehen wollte, nahmen sie sich einen Adjunkten, einen Hilfsprediger an, behielten aber für sich das Stelleneinkommen. Meist war es nun üblich, dass ein Adjunkt eine Tochter des alten Herrn heiratete, somit die Pfarrstelle erhielt und den Amtsvorgänger in seinem Hause im Altenteil behielt. Das Gehalt bezog dann der junge Pfarrer, und der alte war im Hause wohl versorgt.

In meiner ersten Hilfspredigerstellung in Vorpommern führte mich der alte Pfarrer am ersten Tage nach meiner Ankunft auf den Friedhof und zeigte mir die im Schatten der Kirche ruhenden alten Pfarrer. Es waren 5 an der Zahl, immer einer der Schwiegersohn des vorigen. Übrigens hatte der im Amt dort befindliche Pastor keine Tochter, er war kinderlos, und er selber hatte schon die alt bewährte schöne Ordnung schnöde gebrochen, da er sich gleich eine Pfarrfrau aus der nahen Großstadt mitgebracht hatte. Also unser guter Achaz Ballhorn hätte wohl auch gern die Stelle des alten Pfarrers Gödecke übernommen. Es traf sich auch herrlich, dass der alte Herr noch 8 unversorgte heiratsfähige Töchter besaß, die sich alle ohne Ausnahme zu einer guten Pfarrfrau eigneten. Aber wie das so ist, wer die Wahl hat, hat auch die Qual. Unser Achaz, ein gescheiter Kopf, ein heller Calbenser, fand einen guten Ausweg. Er wollte keine von den 3 Pfarrerstöchtern beleidigen und bewarb sich allen Scherz beiseite gleich um die Hände aller 3 Töchter, zuerst der ältesten und dann der beiden jüngeren. Wer würde des heutigen Tages wohl wagen, oder wer kam damals auf solche glänzende Idee? Köstlich sind die Briefe, welche Achaz an den alten Pfarrer Gödecke schrieb, mit welchem er doch als sein Hilfsprediger amtlich oft genug zu tun hatte, mit welchem und in dessen Familie er doch selbstverständlich verkehrte, auch wenn er in einem Filial von Quickborn, nämlich in Pinneberg seine Wohnung hatte. Aber schriftlich schien das dem jungen Mann doch praktischer zu sein. Wie sagt der Altmärker? „Wat schrifft, dat bliwt". Achaz war ja mit einer blendenden lateinischen Ausdrucksweise gewappnet, welche den heutigen studierten Leuten fast völlig abgekommen ist. So schreibt er am 10. November 1726 an den Pfarrer Albert Gödecke im schönsten Latein - dieser Brief befindet sich in den Händen des Generalsuperintendenten Kungemann in Essen, eines Abkömmlings unseres Calbenser Achaz Ballhorn - das Schreiben lautet zu Deutsch: „Höchst zu verehrender und hochgelehrter Mann, hochangesehener Ältester im heiligen Amt, Herr Hirt, Amtsbruder, Vater in Christo, und mit jedem Ehrendienst zu verfolgender Gönner". Die Sorgen, die nun schon tagelang meinen Geist angegriffen haben, bin ich genötigt, in deinen Schoß auszuschütten. Aus den diesem Briefe beigefügten Versen wirst Du sie zu erkennen vermögen. Schon ein Jahr ist verflossen, seitdem ich zu der Gemühtsstimmung gekommen bin, die du auf diesem Blatt ausgedrückt siehst. Das ich aber bis zu dieser Zeit eine so ungewisse Stimmung zur Schau getragen habe, ist - was ich ohne Verletzung meiner Ehrfurcht gesagt haben möchte deiner Gattin Schuld, die mir schon vor 6 Monaten, als ich mit ihr in Eurem Garten lustwandelnd denselben Entschluß mit geziemender Ehrerbietung vortrug, eine ziemlich deutliche Absage zu geben schien. Aus dem beigefügten Zettel, der die Zustimmung meines Vaters in Calbe aus einem im Mai mir geschriebenen Brief enthält, wirst du entnehmen können, dass ich niemals von Liebe zu irgend einer auswärtigen Jungfrau ergriffen worden bin. Dies war auch die einzige Ursache, weshalb ich nach meiner Ordination nach Calbe zu reisen Bedenken trug, weil ich fürchtete, dass meine Angehörigen - freilich nicht meine Eltern, die alles meinem Urteil überlassen und meine Eheschließung mit einer deiner Töchter befürworten - mir irgend andere schöne und reiche Jungfrauen empfehlen möchten. Wohlan denn gütigster Herr und Amtsgenosse, wenn du mich für einen deiner würdigen Schwiegersöhne ansiehst und als künftigen Gemahl deiner Tochter ansiehst, so wollest du eine von jenen beiden, welche du willst, und welche mit mir eines Sinnes und Willens ist, zur Ehe mir zu geben nach deiner reichlich und überreichlich erwiesenen Güte nicht versagen. Eile freilich in der Ausrichtung der Hochzeit wird nicht not sein, sondern es wird deinem Urteil überlassen bleiben. Doch halte ich es für ratsamer, etwas sicheres zwischen uns festzustellen, damit ich mit umso größerer Herzensfreude dein Haus betreten und meiner Zuhörer Liebe auch aus diesem Grunde mir erwerben kann. Mögest du also mit mir diese Sache Gott mit Gebet und Seufzen befehlen, und wenn es angeht und dir gefällt, bei nächster Gelegenheit deinen väterlichen Willen mit einigen Zeilen mir dartun. Zum Schluß bitte ich dich angelegentlich, dass du deiner liebevollen Gattin und den teuren Töchtern, vor allem aber jener, die du als Genossin des Ehegemachs und des Lebens mir bestimmen wirst, in meinem Namen viele Grüße ausrichtest. Lebe wohl in dem Herrn und sei gütig gesinnt deines hochehrwürdigen Namens.

ehrerbietigstem Diener und gehorsamsten Sohne
A. L. Ballhorn.

Anrede und Schluß des Briefes sind recht schwülstig, entsprachen aber dem Geschmack damaliger Zeit.

Der Hinweis auf die vielen hübschen und reichen Jungfrauen in Calbe interessierte uns sehr; es waren wohl meist die Töchter der reichen Kaufleute; also die Wohlhabenheit der Stadt Calbe wird auch durch diesen Brief bestätigt. Die Bewerbung um eine von den beiden im Elternhause weilenden Töchtern, der zweiten damals 25 jährigen Maria Elisabeth und der dritten, der 23jährigen Christine Friederike scheint nicht ganz freundlich aufgenommen worden zu sein. Vorher hatte sich unser Calbenser Kantorsohn schon um die älteste Tochter beworben, war aber abgewiesen worden, da die Pfarrersleute den Verdacht hatten, dass die Bewerbung mehr der Pfarrstelle, als der Braut gegolten habe. Die Brautwerbung war also auch diesmal vergebens gewesen. Achaz Ballhorn hatte wieder mal einen Korb bekommen, oder vielmehr hatte er auf eine 3 Bewerbungen 3 ganze Körbe bekommen. Aber das Sprichwort sagt: Beharrlichkeit führt zum Ziel" und 100 Jahre später hat der Rektor Spröde in Calbe es seinen Schülern in seiner, vielen alten Calbensern noch bekannten Lebensregel, beigebracht der Träge weicht vom Ziel zurück; drum rasch ans Werk, und zwar noch heut, nichts Edleres gibt als die Zeit". Ein Jahrhundert vor Spröde hat unser guter Achaz Ballhorn schon so ähnlich gedacht. Auch er ging rasch ans Werk und zwar nicht gleich heut, nicht an demselben Tage, als er seine Körbe eingeheimst hatte, sondern er überlegte sich die Sache 8 Tage lang. Am 19. November 1726 bietet er also wieder all seine Klugheit und all sein schönes Latein auf und schreibt einen neuen Brief auf Lateinisch. In Deutsch übersetzt lautet der Brief also: „Mann von heiligem Amt, entsprechend hoch zu verehrender Würde, an Frömmigkeit und Bildung über jedes Wort erhaben, innigst verbundener Amtsbruder und Vater in Christus mit allem Dienst der Ergebenheit und Ehre zu verehren". Als ich am vorigen Sonntage aus dem Gotteshause zu Rellingen, wo ich meinen Geist auf heiliges Nachdenken und Gebet gerichtet hatte, den Fuß hinausgesetzt hatte, wurde mir auf dem Kirchhofe dein Brief übergeben, der mir, ich weiß nicht aus welchem Vorgefühl, bis zum späten Abend uneröffnet auf meinem Tisch liegen blieb. Ich weiß bei mir keine Schuld, als hätte ich in der Bitte um eine deiner Töchter als Genossin meines Lebens eine Voreiligkeit begangen. Vom Anfang unseres Verkehrs ist mir nämlich mehr als einmal gesagt worden, dass deine älteste Tochter nach einsamem Leben trachte, daher bin ich von besonderer Liebe zu ihr nie ergriffen worden, vielmehr hatte ich mich überzeugt, dass ihre eheliche Liebe zu mir äußerst lau sein würde. Denke nicht, innigst verbundener Amtsbruder, dass ich an ihrer Erscheinung etwas fände, was zu wünschen übrig ließe, denn, wenn ich auf Schönheit und Reichtum Rücksicht nähme, so könnte ich in meiner Vaterstadt Calbe hinreichend schöne und reiche Jungfrauen erwählen, was mir doch nie in den Sinn gekommen ist. Aber die innere Geistesschönheit deiner Töchter, welche durch sittsame Gebärden, freundliche Gespräche, angenehmen Verkehr und ehrbare Sitten sich kundgibt, das allein hat mir den ersten Anlaß gegeben, aus Ihrem Kreise die Braut zu wählen. Wie wunderbar sind die Wege Gottes! Den Eingang zum geistlichen Amt hat er mir über alles Erwarten leicht gemacht. Aber der Eingang zum Ehestand, erscheint mir außer- ordentlich schwierig! So denkt der Mensch, und Gott lenkt. Daher klage ich jetzt meine Kühnheit an, dass es mir je in den Sinn gekommen ist, um Friederike, Deine älteste Tochter, zu werben. Sie wird einen anderen finden. Zu deiner zweiten Tochter Maria Elisabeth habe ich mir leichteren Zugang versprochen, weil ich weiß, dass sie ein ruhiges, auch ein Landleben gern erwählen würde. So vertraue ich, dass sie doch noch auf meine Seite gezogen werden kann. Aber das erbitte ich von dir, dass du nicht mit vielen Ermahnungen in sie dringest; denn ich will lieber ehelos bleiben, als eine Gattin haben, die nicht mit gegenseitiger Liebe mich umfängt. Es folgen nun noch weitere Ausführungen, welche als langatmig nicht weiter interessieren. Als Unterschrift am Schluß steht: Deines hoch zu verehrenden Namens ehrerbietigster Diener und gehorsamster Sohn A. L. Ballhorn".

Aus dem Briefe geht hervor, dass unser Landsmann ungeachtet der vielen hübschen und reichen Calbenserinnen vor mehr als 200 Jahren mit seinen Bewerbungen um jede der 3 Pfarrerstöchter sich je einen, also drei Körbe geholt hat. Es hat dem stürmischen Liebhaber zunächst auch nicht geholfen, dass sich auch noch sein Vater, der gute Calbenser Kantor und Rektor Christoph Ballhorn als Brautwerber für seinen Sohn Achaz ins Zeug legte. Der hatte am 13. Mai 1726 schon seinem Sohn einen Brief nach Pinneberg überbringen lassen, den dieser seiner Brautwerbung bei Pfarrer Gödecke mit beigelegt hat. Der Brief ist in deutscher Sprache geschrieben, und wir sind überrascht, zu lesen, welch kümmerliches Deutsch damals 1726 der hoch gebildete studierte Rektor der Lateinschule in Calbe, Herr Christoph Ballhorn, gesprochen und geschrieben hat, der sich lateinisch so elegant und vollendet auszudrücken vermochte. Was für ein Deutsch mögen in dieser Zeit unsere lieben Calbenser erst gesprochen haben, wenn ein Mann wie der Rektor und Kantor so schwerfällig und so schlecht deutsch spricht und in seinem Schreiben so viele lateinische, griechische und französische Brocken mit unterfließen läßt. Ja, die deutsche Sprache war damals und ist heute noch eine sehr schwere Sprache. Also hören wir einen Auszug aus seinem Freiwerberbriefe: Was unseren consensum parentalem (unsere väterliche Zustimmung) zu der unter göttlicher assistence (Beistand) incaminirten (beabsichtigten) Heirath betrifft, so wird mein Herr Sohn nach beiwohnender prudence (Klugheit) und vorgängig abgeschicktem Gebeth zu Gott, teils bei erwogenen Umständen des Ortes, teils convenablem (schicklichem) Be- zeigen der zu wählenden Person, schon das richtige treffen: allemaßen es sich ohne das wohl nicht schicken würde, eine Unbekannte nach solchem Ort hinzuführen, da es vielmehr heißt: „Freye nicht übern Mist, sonst welstu nicht, wer sie ist.“ Wir grüßen vielmehr im Voraus dieselbe, so Gott unserm lieben Sohn hat lassen erzogen werden, und verlangen nach vollzogener Heirath eine liebe Frau Tochter bei uns zu sehen. Wünschen auch von Herzen Gottes reiche Gnade und Segen zu solchem wichtigen Vornehmen, und das solches Freyen Keinem von allen wehrten Intereffendis (Beteiligten) möge gereuen.
Christoph Ballhorn.

Wir kennen diese schreckliche Ausdrucksweise aus Verfügungen und Verordnungen der ersten preußischen Könige und ihrer Behörden, besonders zur Zeit Friedrich Wilhelm I. 1713-1740. Der war ja der Soldatenkönig, ging mit dem Krückstock umher, verprügelte faule Beamte, hatte für Kunst und Bildung wenig übrig, z. B. für den größten Gelehrten seiner Zeit, den großen Vielwisser Professor der Philosophie Leibniz nur das Urteil: „Der Kerl taugt nicht mal zu einem ordentlichen Rekruten". Wir sagen heute: arme deutsche Muttersprache in jener Zeit. Aber man muss eben die Zeitverhältnisse verstehen.

Nun, das vielseitige Trommelfeuer der Brautwerber Ballhorn, Vater und Sohn, hat schließlich doch durch Beharrlichkeit zum Ziel geführt und die Herzen des Vaters Gödecke und seiner zweiten Tochter Maria Elisabeth Gödecke bezwungen. Es kam zur Verlobung zwischen Maria Gödecke aus Quickborn und Achaz Ballhorn aus Calbe a. M.. Im Februar 1727 schreibt Rektor Christoph Ballhorn aus Calbe an Vater Gödecke, nachdem die Verlobung stattgefunden hatte, einen langen lateinischen Brief, da er diese Gelehrtensprache doch ganz anders zu meistern verstand, als seine arme Calbenser Muttersprache. Der Brief beginnt wieder schwülstig und gedrechselt nach damaliger Weise: Hochzuverehrender und wahrhaft hochgelehrter Mann, Seelenhirt und mit allem Dienst der Ehre zu verfolgender Gönner."

Der Brief ist sonst sehr langatmig, so dass man sich auf einige Sätze beschränken muss - du hast keinen Stein ungewälzt gelassen und hast nicht geruht, bis die Sache zum Ziel gekommen ist (nämlich zur Verlobung). Für meinen Sohn verbürge ich mich, dass dein schon reifendes Alter zugleich mit deiner gütigen Rippe - damit ist die Ehefrau gemeint, als aus der Rippe des Mannes von Gott erschaffen - in meines Sohnes kindlicher Liebe wirst ruhen dürfen. Im Übrigen werde ich Gott mit unermüdlichen Bitten anflehen, dass die Gnade des Heiligen Geistes euch beistehe und das er durch seine Hilfe die betrübte und bedrückte Kirche in diesen elenden Zeiten und den Verfall der Sitten zur alten Freiheit und Würde wieder herstelle. Lebe wohl und sei nochmals gegrüßt von deines hoch zu verehrenden Namens eifrigsten Diener Christoph Ballhorn aus Calbe an der Milde.

Die Bezeichnung der Gattin als des Mannes Rippe mutet uns erheiternd an, und die Klage über den Sittenverfall stimmt zu dem, was auch das Kirchenbuch in Calbe aus dieser Zeit berichten muss.

Die im vorigen mitgeteilten Briefe von 2 Calbensern, Vater und Sohn Ballhorn mögen in ihrer Ausführlichkeit manchem Leser etwas langweilig erschienen sein, aber als alte Zeugnisse, wie unsere Vorfahren vor 200 Jahren gedacht und geschrieben und gesprochen haben, erheben sie doch den Anspruch, wertvolles Material zur Ortsgeschichte der lieben Heimat Calbe zu bieten. Auch diese Auszüge sollen der Heimatliebe dienen. Man wünschte sich, mehr solche alten Briefe aus alter Zeit aufzustöbern. Die so gedacht und geschrieben haben, die Ballhorns, Vater und Sohn, waren große Männer in Calbe, deren sich die heutige Zeit gewiß nicht zu schämen braucht.

Was ist nun aus jenem Brautpaar Ballhorn-Gödecke geworden? Sie wurden rechtschaffende Pfarrersleute. Achaz Ballhorn tatsächlich zum Nachfolger seines Schwiegervaters in das Pfarramt Quickborn berufen 1727, übernahm aber schon nach 3 Jahren 1730 die Haupt- und Klosterpfarre in Uetersen, westlich von Hamburg. Aus einer 39jährigen Ehe erblühten dem Ehepaar 8 Kinder. Achaz Ballhorn starb 1764. Von seinen Kindern wirkte ein Sohn als Direktor des Lyzeums in Hannover und später als Superintendent daselbst. Dessen Sohn war Hofarzt in Hannover, ein anderer Sohn Universitätsprofessor in Göttingen. Später um 1850 herum, änderten die Ballhorns ihren Namen in den Namen „Rose" um. Durch irgend ein Glied der Familie Ballhorn war ihr Name anrüchig geworden. Denn verballhornisieren" oder „verballern" bedeutet im heutigen Sprachgebrauch ein Ding ruinieren und verderben, so dass es nicht wieder zu erkennen ist. Ein Urabkömmling des Kantors Christoph Ballhorn aus Calbe war der gesegnete Generalsuperintendent der Rheinprovinz, Klingemann in Essen, welchen das Bekanntwerden der näheren Lebensumstände der beiden Calbenser Kinder, Vater Christoph Ballhorn und Sohn Achaz Ballhorn zu verdanken ist.

Das war nun der Kantor und Rektor der Lateinschule in Calbe a. M. Christoph Ballhorn. 46 Jahre hat er die Rektorschule geleitet von 1693 an bis zum Jahre 1738 und ebenso lange in seiner lieben Kirche als Kantor mit seinen Schulkindern, gewiß auch an Festtagen mit einem Kirchenchor zur Ehre Gottes gesungen, Nun war er müde und einsam geworden im lieben Calbe. Ein Jahr vor seinem eigenen Tode ward ihm seine Ehefrau Klara Margarete Heinzelmann, die Salzwedeler Superintendententochter, durch den Tod entrissen; sie ließ ihn allein mit seiner jüngsten 19jährigen Tochter Sabine Agnese Johanna Ballhorn zurück. Das Kirchenbuch berichtet: Den 10. Februar 1737 hat Herr Kantor seine Frau, nachdem sie ein langwieriges Lager ausgestanden, mit einer Leichenpredigt über Offenbarung St. Johannes, Kap. 7, v. 13-15 sehr ansehnlich begraben lassen, also auf dem Stadtkirchhof im Schatten der Kirche, die sie ihr Leben lang tagtäglich vor Augen gehabt. In demselben Jahre mußte die alte Rektorschule, in welcher Ballhorn als Kind, Ehegatte und Rektor so viele glückliche Jahre verlebt hatte, wegen völliger Baufälligkeit niedergenommen werden, um einem Neubau Platz zu machen. Kaum, dass Ballhorn dies Haus bezogen, ereilte auch ihn der Tod. In nüchternem Amtsstil berichtet das Kirchenbuch: Den 6. Januar 1738 früh um 8 Uhr ist der hiesige Herr Kantor Christoph Ballhorn, so an die 46 Jahre hierselbst im Amte gestanden, gestorben und den 10. darauf des Abends beigesetzt. Die Gattin wurde begraben also ins Grab gesenkt auf dem Kirchhofe der übrigens erst im Jahre 1845 als Begräbnisplatz geschlossen wurde dem ehrwürdigen Kantor aber tat sich die Kirche selbst auf, der er zeitlebens seine Liebe gewidmet. Er wurde des Abends beigesetzt, nach der Sitte der Zeit bei Fackelschein, gewiß auch bei Chorgesang der Kantorschüler und unter Beteiligung der ganzen Gemeinde, und zwar im unter. irdischen Gewölbe der St. Nikolaikirche. Diesen Ehrenplatz hatten dem verdienten Diener der Kirche, dem Rektor, Kantor, Musikus und ludimoderator Christoph Ballhorn, die Calbenser zugestanden. Er wurde zu den andern einstmals angesehenen Calbensern „beigesetzt“, hinzugesetzt zu den Gliedern herrschaftlichen Geschlechts, den Superintendenten, den Kaufherren und sonstigen vornehmen Toten, die als Gemeinde der Toten im Gotteshause der Ewigkeit entgegen schlummern. Kein Denkstein kündet seine Ruhestätte in der Kirche. Ob es einer späteren Zeit vorbehalten bleibt, einen solchen mit dem Namen Christoph Ballhorn aufzuspüren, ist fraglich. Aber ganz abgesehen davon gilt das Wort: Das Gedächtnis des Gerechten bleibt in Segen (Sprüche Sal. 10, 7), und in Calbe soll und wird es in Segen bleiben, das Gedächtnis Christoph Ballhorns. Wie schon erwähnt, war er der Abkömmling eines Mönches Im Huykloster bei Halberstadt, Glied der großen Sippe Ballhorn, Träger eines evangelischen, deutschen Kantorhauses, der, wie manche andere Glieder der großen Familie Ballhorn als Kantoren und Lehrer unserem Volk und Vaterland in großer Treue und reichem Segen wertvolle Dienste geleistet haben.

in Als Nachfolger Ballhorns im Rektor bzw. Kantoramt Calbe bezeichnet das Kirchenbuch
9. 1739-1768 Ernst Wilhelm Gottvertrau Hirsemann, verheiratet mit Marie Margarete Bölbecte, einer Calbenser Pastorentochter. Auch er war ein studierter Mann. Wenn gleich er fast 30 Jahre die Rektorschule leitete, fehlt jede Spur seines Lebens und seiner Wirksamkeit, und so ist sein Name bloßer Schall und leeres Wort geworden. Er starb 1768 in Calbe.

10. 1770-1783 Kantor Johann Christoph Rogge, geboren in Osterburg, 1765 Rektor in Bismark, gestorben 1788in Calbe. Ein Sohn wird 1779 im Kirchenbuch als Brauer in Calbe genannt.

11 . 1788-1807 Karl Friedrich Rotkohl, Rektor der Schule, auch ein studierter Theologe. Von ihm ist nichts mehr bekannt.

12. 1808-1818 Ihm folgt im Amt Friedrich Busso Georg Schwarzenberger, welcher als unverheirateter mit seiner Schwester zusammenlebte. Geboren war er 1762, er starb in Calbe 1818.

13. 1820-1833 Bekannt in Calbe ist noch der Name des Folgenden, Jakob Heinrich Keßler. 1791 in Magdeburg als Sohn eines Pfarrers an der dortigen Petrikirche, heiratete er als Calbenser Kantor eine Tochter des Calbenser Apothekers Grünewald und wurde später als Pfarrer nach Kremkau berufen, wo er auch gestorben ist. Sein Amt ging über auf den Kandidaten der Theologie.

14. 1834-1839 August Heinrich Becker aus Wegeleben Er heiratete eine Nichte des Oberpredigers Wagner in Calbe, amtierte später als Pfarrer in Neuendorf am Speck und wurde von dort durch die Herren von Alvensleben als Pfarrer nach Altmersleben berufen, wo er am 14. August 1874 verstarb. Die verewigte Frau Superintendent Müller in Calbe war seine Tochter.

15. 1839-1867 Als letzter in der Reihe der akademisch gebildeten Rektoren der alten Schule ist der Rektor Ferdinand Sproede zu nennen. Er war 1802 in Zeitz geboren, hatte Philologie studiert, nannte sich literatus und bekleidete als solcher bei Herrn von Alvensleben eine Haus- lehrerstelle. Der letztere war der Ansicht, dass auch einmal ein Philologe die Rektor- und Kantorstelle in Calbe übernehmen könnte, und da er das Patronatsrecht besaß, so berief er seinen Hauslehrer, der auch musikalisch begabt war, zum Rektor und Kantor, zum ersten Mal einen Philologen also, zur Leitung der alten Rektorschule. Die ältesten noch lebenden Calbenser haben bei Sproede noch die Schule besucht. Als Rationalist, der mit dem kirchlichen Glauben gebrochen hatte und in seiner Schule, wenn die Rede auf Gott kam, gern abschwenkte, der je weniger er von Gott und dem Glaubensbekenntnis, umso mehr aber von Tugend, Treue und Redlichkeit, von Fleiß und Sparsamkeit redete, verfaßte eine in Calbe heute noch wohlbekannte Lebensregel, welche die Schüler wie einen Katechismus auswendig lernen mußten. Diese Lebensregel, aus welcher heutigen Tages noch in Calbe manche Worte wie Sprichwörter bekannt sind, war Sproedes eigenes Glaubensbekenntnis, in der er eben seinen Aufklärungsglauben niedergelegt hatte. Ein alter Veteran von 1866 und 1870, den ich nach dieser Lebensregel Sproedes befragte, faltete ehrfürchtig seine Hände und betete mir ohne Anstoß dieselbe von Anfang bis zum Ende her. Soviel ich weiß, hatte Sproede keine Familie. Im Juli 1869 wurde sein Leichnam auf dem von Alvensleben'schen Friedhofe bestattet. Als einem ehemaligen Hausgenossen der Patronatsfamilie hatte man ihm eine Begräbnisstätte auf diesem Privat-Friedhofe gewährt. Ein zerbrochener Denkstein bezeichnet dort seine Ruhestätte.

Mit Sproede hörte die Rektorschule zu bestehen auf. Calbe bekam eine Volksschule, an welcher nacheinander die Rektoren Lehrmann, Memmleb, Lehmann, Tetzner und Böttcher die Leitung hatten. Mit der Pensionierung des letztgenannten Rektors verlor die Schule im Herbst 1935 auch ihre Rektorstelle und wird nunmehr von einem Hauptlehrer geleitet.

Rund 400 Jahre hat also diese älteste Schule der Stadt Calbe als Rektorschule bestanden, da wir ihre Anfänge bis 1507 bestimmt, ja vermutlich noch weiter zurück verfolgen können.

Der Unterricht wurde zuerst wohl von dem Rektor bzw. dem Kantor (beide Ämter waren ja von jeher in einer Hand) versehen, aber schon nach 70 Jahren machte sich eine Erweiterung durch Heranziehung anderer Lehrkräfte erforderlich. Die Herren von Alvensleben wiesen im Jahre 1569 auch dem Organisten der Kirche Ländereien und Wiesen und Gehölz zu und verpflichteten ihn, neben seinem Organistenamt auch Unterricht an der Rektorschule zu übernehmen.

Der Organist wird der Lehrer, der, wie es lautet, die Kleinen unterrichtet, also die zweite Knabenklasse übernimmt. Um 1600 ist es der Organist Johannes Alerdt.

1627 Abel Alerdt, vermutlich der Sohn des vorigen.

1641-1652 verwaltet das Lehr- und Organistenamt Pasche Beust (Büst). Derselbe muss ein vielseitiger Mann gewesen sein, denn gleichzeitig ist er auch Verwalter des Vorwerks. 1647 wird ein Balgentreter Joachim Niemann genannt.

1653-1665 treffen wir einen Johannes Tappius als Organisten, der eine Bürgermeistertochter aus Calbe, Elisabeth Guilleth zur Frau hat. 1654 hat die Orgel stillgestanden und zwar einige Wochen zur Trauer um Busso von Alvensleben.

1670-1731, 61 Jahre, versieht dies Amt ein Organist Samuel Dithmar, gebürtig aus Stolberg in Sachsen, verheiratet seit 1672 mit einer Gertrud Stapel. Derselbe bringt es auch zur Würde eines Senators d. h. eines Ratmannes der Stadt Calbe.

1731-1757 wird Georg Heinrich Tiele genannt, oder, wie er sich gern schreibt, Tilenius. 1734 wird für ihn eine Dienstwohnung beschafft in dem eben neu erbauten Organistenhause, Ecke Gardelegerstraße und Stege, geradeüber von dem ehemaligen Elias Hoffmann'schen Hause. Vor 1734 hatte die dazu gewidmete Stelle lange wüst gelegen."

1557-1775 ist Bernhard Heinrich Schroeder Organist.

1775-1810 Johann Kaspar Ehrhardt. Wegen seines hohen Alters er starb völlig erblindet 93jährig in Calbe wurde ihm sein Sohn

1810-1821 Karl August Ehrhardt im Amt zur Seite gestellt. Die Namen der anderen Organisten und zweiten Schullehrer sind noch bekannt: 1830-1875 Johann Friedrich Heinrich Neumann, geb. 1804 in Calbe, verheiratet 1832 mit Luise Henriette Kloß, einer Buchbindertochter aus Salzwedel, gestorben in Gr.-Apenburg am 3. 1. 1883.

1876 Organist Fr. Wilh. Ludwig Feick, verheiratet 1880 mit einer Tochter des Färbermeisters Garz in Calbe. Organist Schmidt, im Volksmunde zum Unterschiede von einem anderen Lehrer, den man Dünn- Schmidt taufte, Dick-Schmidt genannt.

1910-1925 Organist Ernst Krafft, geboren am 19. 3. 1870 in Aschersleben, gestorben am 1. Oktober 1925 in Calbe.

1925-1935 Richard Herper, geboren am 10. April 1886 in Calbe, zeitiger Organist und zweiter Lehrer.

In einem Vergleich der Herren von Alvensleben vom 9. Oktober 1586 wird eine Mädchen- oder Töchterschule in Calbe erwähnt, an welcher ein besonderer Lehrer unterrichtete. Gleichzeitig hatte er das Küsteramt in Vahrholz, dem Filial von Calbe, mit zu versehen. Im Laufe der Zeit wurde die Anstellung eines zweiten Töchterschullehrers erforderlich. Da die Lehrpersonen an dieser Schule viel wechselten, ist eine Aufzählung derselben unmöglich. Im Jahre 1835 wurde die Töchterschule neu erbaut in der Marktstraße. Wenn ich nicht irre, liegt diese Schule auf der östlichen Seite Marktstraße. Sie war schlecht gebaut, so dass schon nach einigen Jahren der eine Giebel neu aufgeführt werden musste. Ebenfalls wurde im Jahre 1837 in derselben Straße auf der westlichen Seite derselben neben der Buchdruckerei nordwärts eine neue Knabenschule erbaut.

1823 amtiert ein Töchterschullehrer Konrad Schramm, der in seinem Heimatdorfe Vienau eine, Mühle kaufte und später nach Amerika auswanderte.

Um 1850 wirkte ein Töchterschullehrer Dähre. Es wird erzählt, daß er außer seinem Amt Uhren reparierte.

Bekannt ist uns alten Calbensern noch der alte Töchterschullehrer August Lübeck, der ehrwürdige Kantor, ein geborener Calbenser, Gründer der Lübeck'schen Liedertafel, welcher in Calbe einige 20 Jahre als Pensionär lebte und hochbetagt im Jahre 1915 in Calbe starb. Zwei seiner Söhne wurden Pfarrer, August Lübeck in Magdeburg, Oskar Lübeck, Oberpfarrer an der Katharinenkirche in Salzwedel; ein dritter Sohn Willy Lübeck gründete in Calbe in der Marktstraße ein Konfektionsgeschäft.

Lange Jahre wirkte im großen Segen die in Kremkau gebürtige Töchterschullehrerin Fräulein Elisabeth Richter, ein frommes, fröhliches Menschenkind. Neben ihrer Arbeit an der öffentlichen Schule erteilte sie Privatunterricht und wurde ihren ehemaligen Schülerinnen im späteren Leben eine liebe und hoch verehrte Freundin. Im Schuldienst hat sie ihre Kräfte bis zum Zusammenbrechen aufgerieben. Ihr Andenken darf nicht vergessen bleiben. Sie ging im Jahre 1912 in Calbe heim.

Die verschiedenen Schulen sind nun seit dem Jahre 1910 in dem schönen Gebäude der evangelischen Volksschule in der Schützenstraße zu Calbe vereinigt. Welch ein Segen im Laufe von 400 bis 450 Jahren von ihnen ausgegangen ist, steht im Buche der Ewigkeit mit goldenen Lettern verzeichnet. Wir freuen uns, wenn wir Nachfahren ihren Spuren nachgehen und einmal hier und dort den Schleier der Vergangenheit ein wenig lüften und dann dankbar hineinschauen dürfen in ein Stück Ortsgeschichte der lieben alten Stadt Calbe an der Milde.

Weihnachten 1935
Berlin/Friedenau
Mosenthin,
Oberpfarrer i. R.

Nachtrag

Der Calbenser Kantorsohn und spätere Pfarrer Achaz Ludwig Ballhorn, geboren in Calbe im Jahre 1698 trägt seine beiden Vornamen von seinem Patenonkel, dem Junker Achaz Ludwig von Bülow, einem von Alvenslebenschen Stiefsohn. Das Kirchenbuch vermerkt im Jahre 1706: Herr von Alvensleben hat seinen beiden in Siebenbürgen gebliebenen Stiefsöhnen Achaz Ludwig und Ernst Gottfried von Bülow in Calbe eine Leichenfeier halten lassen. Eine Liebe war der anderen wert. Achaz Ludwig von Bülow übernimmt bei dem Sohne des Calbenser Kantors Christoph Ballhorn das Patenamt, und Christoph Ballhorn spendet tief bewegten Herzens diesem seinem Gönner den Leichen. und Gedächtnisgesang zur Leichenfeier, acht Jahre später. Die beiden Junkerbrüder hatten unter Führung des Fürsten Leopold von Dessau, des späteren „alten Dessauers",- der übrigens dem Hause von Alvensleben befreundet war und auch in unserem Kirchenbuch im Jahre 1751 als Pate bei dem Sohne Leopold des Hauptmannes von Lüderitz, (der eine von Alvensleben zur Frau hatte), verzeichnet steht, also die beiden Brüder von Bülow hatten im Spanischen Erbfolgekriege fremde Kriegsdienste angenommen, und waren in Siebenbürgen gefallen. Wie so viele, unendlich viele deutsche Edelleute hatten sie zu ihrer Zeit ihr edles deutsches Blut und kostbares deutsches Leben für fremde Machthaber dahingegeben.

Von 2 Calbenser Kantoren, die in den bisherigen Ausführungen nicht genannt sind, gibt die Calbenser Kirchenbibliothek Kunde. In Band 251 dieser Büchersammlung befindet sich ein von einem Calbenser Kantor, Rektor und ludimoderator Johannes Sinapius zu deutsch Johannes Senf verfaßter lateinischer Nachruf mit lateinischem Titel, der, ins deutsche übersetzt, lautet: „Gedächtnisschrift auf den Tod des Herrn Albert von Alvensleben, welcher aus diesem Tränental in die himmlische Hochschule berufen worden ist am 15. Juni 1564, 32 Jahre alt." Hatte der Verstorbene irgendetwas mit einer Hochschule zu tun? Möglich, ja wahrscheinlich, dass er als Junker sich mit Begeisterung der lutherischen Lehre angeschlossen und die Universität Wittenberg aufgesucht hatte. Freilich als Student war er mit 32 Jahren reichlich alt. Aber die Universitäten zählten auch viele ältere Junker zu ihren Studenten. Also besagter Student war durch seinen Tod in die himmlische Hochschule abberufen worden, und der Calbenser Kantor Johannes Sinapius widmete ihm eine lateinische Gedächtnisschrift im Jahre 1564, gedruckt 1564 in Wittenberg. Es hat also um 1564 in Calbe einen Kantor Johannes Sinapius (Senf) gegeben, der eine lateinische Schrift schrieb sie steht noch in der Bibliothek - also auch ein studierter Mann war und ein ordentliches Latein zu schreiben vermochte.

In der Zahl der Calbenser Superintendenten oder Inspektoren", wie sie meist genannt wurden, steht an zweiter Stelle auch ein Johannes Sinapius, von 1581 bis 1600 Inspektor in Calbe, Nachfolger von Elias Hoffmann.

Dieser Sinapius war 1537 in Stendal geboren. Ob dieser Inspektor Johannes Sinapius mit dem Kantor Johannes Sinapius um 1564 identisch ist, oder ob der Inspektor der Sohn des Kantors ist, mag schwer zu entscheiden sein. Es ist wohl möglich, dass ein vom Alvenslebenschen Patronat bestallter Kantor, wenn er sich als tüchtiger Rektor und ordentlicher Kantor erwiesen hatte, von diesem Patronat auch in das Pfarramt als Inspektor berufen wurde. Mit Sicherheit ist nicht festzustellen, ob es sich bei den beiden Amtsträgern, dem Kantor und dem Superintendenten Johannes Senf um eine Person oder um Vater u. Sohn handelt.

Ebenso ist es möglich, aber noch nicht fest schlüssig, dass die beiden, Kantor und Superintendent, zu den Vorfahren der in mehreren, in Calbe mindestens in 4 Generationen Apothekenbesitzer Senff gehören.

Noch ein zweiter Kantor (Rektor) in Calbe vor 1600 kann aus der Calbenser Kirchenbibliothek nachgewiesen werden. Das ist der Kantor Gigas (zu Deutsch: Riese). Nach der Sitte der Zeit hatte dieser Mann seinen ehrlichen deutschen Namen „Riese" in den vornehm und gebildet klingenden griechischen Namen „Gigas" umgewandelt, so wie Philipp Schwarzert oder Schwarzerd, Luthers Freund, sich Philipp Melanchthon nannte. Von dem Kantor Gigas ist in der Kirchenbibliothek zu Calbe eine Traurede über Ev. Joh. 2 (Hochzeit zu Kana) in lateinischer Sprache vorhanden, die der Verfasser zur Trauung eines Herrn von Alvensleben in Calbe verfaßt hatte. Die Katalognummer dieses Traubüchleins, die Namen der Brautleute und das Jahr der Trauung kann ich leider aus dem Gedächtnis nicht angeben; aus dem Katalog der Bibliothek ist dies Buch leicht festzustellen. Diese lateinische gelehrte Abhandlung habe ich in meinen Händen gehabt, und mußte zuerst denken: „Armes Brautpaar, dass du diese gelehrte und langweilige Traurede 52 Seiten lang, mindestens 4 Stunden Rededauer - über dich hast ergehen lassen müssen"! Aber es gibt eine einfachere und harmlosere Erklärung, dass nämlich der Calbenser Rektor und Kantor Herr Gigas (Riese) durch diese dem Herrn Patron von Alvensleben und seiner jungen Frau gewidmete Traurede hat seine Gelehrsamkeit und seine Fähigkeit auch eine schöne Traurede fertig zu bringen, nachweisen wollen, zwecks etwaiger späterer Berücksichtigung bei einer Berufung in ein Pfarramt. Auch wurde ja diese umfangreiche Traurede gedruckt und fand in mancher Bibliothek Aufnahme als Werk eines gelehrten Mannes.

So können in die Reihe der Kantoren der lateinischen Rektorschule in Calbe allen genannten Rektoren voran noch diese beiden, nämlich Johannes Sinapius (Senf) und Gigas (Riese) eingestellt werden, so dass wir anstatt 15 nun- mehr 17 Leiter der alten Rektorschule feststellen können und damit beinahe vollzählig ihre Namen kennen.

Berlin/Friedenau, im Januar 1936.
Mosenthin.

 
 
 
 
 
   
  
 

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