Geschichten über Kalbe Milde
 

 


 

 


 
Der gespenstische Schäfer(Sage)

In alter Zeit wagten sich die Leute nach Sonnenuntergang nur selten von Haus und Hof. Gerade in mondlosen Nächten war alles Bekannte und Vertraute wie fortgewischt. Geräusche, die am Tag kaum wahrgenommen wurden, erschienen in der Stille verstärkt und bedrohlich. Und an allen Stellen bildeten sich die besonders Ängstlichen spukhafte Schatten und unheimliche Stimmen ein. So kam ein ziemlich reichhaltiges Ortsverzeichnis altmärkischer Spukstellen zustande, wo einem etwa ein Verwünschte plötzlich „Godn Aowend!" zurief, wo ein Gespenst einem als schwere Last auf den Rükken sprang, und da kam ein Mann ohne Kopf daher, dort eine Wildsau mit aufdringlichen Ferkeln...

In Kalbe an der Milde glaubte man an einen verhexten Schäfer, der mit seinen Geisterschafen immer an der Stelle eines alten Friedhofes erschien. Von ihm selbst und seinen Schafen hörte man überhaupt keinen Laut. Wer dem schweigsamen Herrn allerdings zu nahe kam, und das konnte ja in der nächtlichen Finsternis schnell geschehen, bekam einen ordentlichen Schlag mit dem Hirtenstab an den Kopf. Also dachten die meisten Kalbenser: „Wiet davon is god vor'n Schuß!" und machten lieber einen großen Bogen um den Kirchhoffleck, der nur noch als Weide genutzt wurde. Eines Abends war die Dunkelheit schneller heran, als ein Mann im Krug sein Quantum Bier getrunken hatte. Als er damit fertig war, galt freilich von ihm: „He hat höllisch scheef laod't." Trotzdem verfolgte er noch den Vorsatz, möglichst schnell nach Hause zu gelangen. Der Weg ließ sich beachtlich abkürzen, wenn man über den alten Friedhof ging. Gedacht, getan. Vom Schäfer und seiner Herde war nichts zu sehen, aber als der Mann schon fast den Platz überquert hatte, bekam er ohne Vorwarnung einen starken Schlag gegen die Stirn, daß der Schädel summte und die Nase blutete. Mein lieber Mann, wo der rätselhafte Schäfer hinschlug, da wuchs erst einmal kein Gras mehr! Benommen erreichte der Mann sein Zuhause. Der Zank mit seiner Frau über die Stunden, die im Krug abgesessen waren, blieb aus. Der Hilflose war ja das Opfer des verfluchten Schäfers von Kalbe! Am nächsten Morgen suchten Nachbarn die beschriebene Stelle ab. Vom Schäfer ließ sich keine Spur entdecken. Allerdings hatte am Tag zuvor dort jemand Gras gemäht und vermutlich den Rechen liegen gelassen. Vorwitzige kamen sofort auf die Erklärung, der leichtangetrunkene Mann wäre – was man sich gut vorstellen könne – auf die Zinken getreten, worauf sich im gleichen Augenblick der Rechenstil wie ein Hebel aufgerichtet hätte. Der Schlag gegen die Stirn müßte die logische Folge sein. Wohlgemerkt: Das behaupteten Vorwitzige. Der Mann aber blieb bei der Erklärung, die niemand überprüfen konnte. Einleuchtend…



Auszug aus "Das grosse Sagenbuch der Altmark"; dr. ziethen Verlag Oschersleben

 
 
 
 
 
   
  
 

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