Geschichten über Kalbe Milde
 

 



 

 

 
Die Stadtkirche St. Nicolai nach einem Aufsatz von Pfarrer Mosenthin

Das vorliegende Werk wurde einem Aufsatz von Herrn Pfarrer Mosenthin entnommen. Er war von 1917 – 1932 Pfarrer in Calbe. Der Aufsatz wurde in 11 aufeinanderfolgen Artikeln in den Altmärkischen Nachrichten zu Calbe 1934 veröffentlicht. Er gibt einen guten Überblick über unsere Kirche, geschrieben zwischen 1920-1934. Gegenüber den Ausführungen von Pfarrer Schneider und Henning Krüger, ist er sehr viel länger und schildert in Erzählweise geschichtliche Hintergründe und auch etliche Anekdoten aus der Geschichte.


Den größten Umbau erfuhr die Kirche in den Jahren 1754/55. Die Kirche war baufällig geworden. Besonders in dem halbrunden Chorabschluss (Apsis) im Osten, also dem Teil der Kirche, in welchem jetzt die Orgel steht, zeigten sich an mehreren Stellen gefährliche Mauerrisse, welche eine Reparatur dringend erforderlich machten. Eine im von Alvensleben'schen Archiv befindliche, von der Hand des Superintendenten Goklenius angefertigte Zeichnung ergab ein genaues Bild der Kirche vor 1754. Der Altar stand an dem Platz der jetzigen Orgel. Sein Hauptbild war das der Jungfrau Maria um welches viele vergüldete Bilder stehen. Einige von diesen geschnitzten Bildwerker: z. B. die Weisen aus dem Morgenlande und eine prachtvolle Apostelfigur waren noch erhalten und wurden in der Bibliothek über der Sakristei aufbewahrt. Die Kanzel mit sehr bescheidenem Schnitzwerk zeigt in ebenso bescheidener Ausführung die Bilder der 4 Evangelisten und nimmt noch heute ihren alten Platz ein. Die Orgel stand an der Stelle der jetzigen Patronatsstühle, daneben an der Nordwand der Schülerchor, geraderüber ein Patronatsstuhl, der andere Patronatsstuhl an der Nordwand, dort wo jetzt die beiden Ritter ihren Platz haben. In der Mitte vom Turm bis zum Taufstein, der scheinbar 1690 wieder aus der Kapelle in die Kirche gebracht war, lauter Frauenstühle, die Männerstühle in der „Kapelle" und neben der Kanzel bis zur Sakristeitür ein Chor „worauf Soldaten gehen“. Die Kirchenstühle waren zum Teil überbaut und sahen wie Glasschränke aus. Auch Kronen und Totenkränze hingen in der Kirche, wie man sie heute noch in vielen altmärkischen Dorfkirchen finden kann. Die runde Apsis war also geborsten. Wer sich noch auf die Kirchhofsmauer besann, weiß, dass dieselbe vor dem Osteingang der Kirche eine Rundung auswies, entsprechend der Rundung der Apsis. Kurz, die Kirche bedurfte dringend der Reparatur. Die von Goklenius angefertigte Zeichnung trug die Überschrift „Plan von unserer Calbischen sehr elenden Kirche, so sie des Herrn Geheimen Staats-Rats Exellenz gnädigen Untersuchung aufgenommen und übergibt der Exellenz unterthänigster Diener Goklenius, Inspektor in Calbe." Die bewegliche Klage über die gefährlichen Mauerrisse in der Apsis, an der Kanzel und in der Kapelle, „so alle Augenblicke der Einfall dräuen", und der Wunsch, dass die Kirche extendiert (d. h. erweitert) werden müsste, zumal nur 1/4 von der Gemeinde Platz in der Kirche hat, führte zu dem erwünschten Erfolge. Am 19. März 1748 hatte Friedrich der Große für den Ausbau der Kirche eine General-Hauskollekte bewilligt, durch zwei Kirchenbediente zu sammeln. Vielleicht waren es Calbenser Kirchenälteste, welche sich mit ihrer Sammeltätigkeit auf die Altmark beschränkt haben mögen. Der klingende Erfolg dieser Haussammlung lässt sich nicht mehr feststellen. Aber man darf wohl aus dem Bittgesuch des Inspektor Goklenius an den Geheimen Staatsrat vom Jahre 1754 den Schluss ziehen, dass die Hauskollekte von 1748 nicht allzuviel eingebracht hat und darum ein erneutes Bittgesuch notwendig machte.

Die Kirche wurde umgebaut. Dem 1573 erbauten südlichen Flügel, der „Kapelle", wurde ein von eichenen Säulen getragener Männerchor aufgesetzt, ein entsprechender nördlicher Flügel angebaut, sämtliche romanische oder gotische Fenster zugebaut, und die ganze Kirche in Barock umgewandelt. So stellt sich nunmehr die Kirche in genauer Kreuzform mit vorgelagertem Turm dar, wie sie zur Zeit steht. Die Sakristei und die daneben liegende Leichenkapelle, auf der Zeichnung von 1753 das „Leich Haus" genannt seit 1929 für besondere Notfälle der Stadt auf Widerruf als provisorische Leichenhalle kostenlos über lassen, haben schon vor 1573 bestanden, vielleicht schon seit Gründung der Kirche. Man kann nicht sagen, dass der Reparatur bzw. der Ausbau von 1754/55 besonders geglückt ist. Jedenfalls sind bei dem Bau auch viele Denkmäler von kulturgeschichtlichem Wert verloren gegangen und viele geschichtliche Nachrichten damit für immer in Vergessenheit geraten. Wer möchte die vielen zu Treppenstufen, Hauseingängen und Hausflurbelägen für wenig Groschen verkauften Denksteine(Grabsteine) angesehener Calbenser Bürger zählen? Sie liegen in der Stadt weit zerstreut umher.

Ein Stück wertvollster Ortsgeschichte ist verloren gegangen mit vielen in Übermut verbrannten Urkunden und aus Unverstand in der Peterskuhle verscharrten Büchern aus dem städtischen Archiv. Hat doch ein Bürgermeister H. wertvolle Akten, Bücher und Bilder vom Rathausboden auf Handwagen dahin abfahren lassen. Darunter befand sich auch ein Bild der von Alvensleben'schen Burg, sodass heute niemand mehr weiß, wie diese ausgesehen hat. An den leider ausgetretenen Treppenstufen und Hausflurplatten muss nunmehr alle Mühe des Entzifferns als vergeblich scheitern. Immerhin sind in der Kirche noch sehr wertvolle Grabsteine erhalten geblieben. An der nördlichen Wand des östlichen Teils des Langhauses (über dem Apothekerstuhl) steht seit 1921 eingemauert der bis dahin in der Apsis unter der Orgel befindlich gewesene Grabstein Ludolf IX von Alvensleben, eines praefectus Soltwedelensis gleich Landeshauptmann der Altmark geb. 1510 gest. 1562, von Künstlerhand ausgeführt, daneben desgleichen der Ludolfs XI, einzigen Sohnes von Ludolf IX geb. 1546 gest. 1589, weiterfolgend die Gemahlin des Lezteren, Anne von der Schulenburg, gest. 1604 (leider sehr zertreten), alle 3 Grabsteine aus Sandstein in Lebensgröße. Gegenüber an der Südseite zwischen Orgel und der Sakristeitür das aus parischem Marmor hergestellte kostbare Epitaph (Denkmal) des vorgenannten Ludolf IX und seiner Gemahlin Anna von der Schulenburg, welches beide in knieender Stellung zeigt, zwischen ihnen Helm und Handschuhe des Stifters und auch in knieender Stellung das einzige im Alter von 4 Monaten verstorbene Kind beider - alle 3 Gestalten mit betend einander zugekehrten erhobenen Händen. Das sehr umfangreiche Epitaph mit der Darstellung der Leidens und Herrlichkeitsgeschichte unseres Heilandes und einer auf die 3 von Alvenslebenschen Gestalten bezüglichen lateinischen Inschrift ist des öfteren in Sammelwerken beschrieben worden, sodass sich die Wiedergabe hier erübrigt.

Auf der anderen Seite der Sakristeitür steht der lebensgroße Grabstein des Ritters Albrecht Penz, des Gemahls der Magdalene Salome von Alvensleben, gest. 1581. Im südlichen Kreuzarm der Kirche stößt man auf eine ganze Anzahl von Grabsteinen, sonderlich auf den gut erhaltenen des ersten evangelischen Predigers Elias Hoffmann. Ehedem lag der Denkstein verkehrt, mit Inschrift und Relief der Gruft zugekehrt, gest. 1579. Pietätvolle Hände haben ihn Jahrzehnte nach Elias Tode so für die Nachwelt erhalten. Die Darstellung seines Gesichts stimmt mit dem Oelbilde in der Sakristei überein; auch ist die Randinschrift gut lesbar. Vor seinem in die Wand eingelassenen Denkstein liegen noch einige andere zu ebener Erde, darunter der des von Alvensleben'schen Gesamtrichters Christoph Lotichius (Lotsch), von welchem das Kirchenbuch erzählt, dass er 1648 (1) der Kirche das neue Meßgewand für 52 Thaler und 12 Groschen gestiftet habe. So viel Mittel besaß dieser von Alvensleben'sche Gesamtrichter nach dem furchtbaren 30 jährigen Kriege! Vielleicht stellt diese Schenkung ein Dankopfer für den Frieden dar, um den Paul Gerhardt in seinem bekannten Neujahrsliede gefleht hat: „Schleuß zu die Jammerpforten und laß an allen Orten auf soviel Blutvergießen die Freudenströme fließen“. Auf der anderen Seite des Ganges in diesem Kreuzarm „Kapelle“ ruht der kinderreiche Inspektor Simon Struvius, der in den Nöten des Kriegsjahres 1636 mit seiner ganzen Familie nach Gardelegen flüchtete. Struvius schrieb damals unter dem 25. Mai 1686 im ältesten Kirchenbuch: „Weil den 25. May die Plünderung allhie sich stark angehoben, ist M. Simon (Struvius) mit seiner Frau und Kindern (vielleicht 12 an der Zahl) in der Nacht nach Gardelegen gezogen, und weil am folgenden Himmelfahrtstage man unchristlich mit Leuten gehandelt, als ist fast ganz Calbe nachgefolget. Daselbst sind an Pocken etliche gestorben und begraben". Er hatte 16 Kinder, 9 Söhne und 7 Töchter (von einer Frau) in der furchtbaren Not des 30 jährigen Krieges zu ernähren gehabt! Das Jahr 1636 muss für Calbe das schlimmste Jahr gewesen sein. Es herrschte die Pest, an welcher 1636 in Calbe 142 Calbenser und 11 Soldaten, zusammen 153 Personen gestorben, während in dem demselben Jahre nur 28 Kinder zur Taufe gebracht wurden. Von den 153 starben 4 Personen vor dem 1. August, während auf die Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember 149 Pestfälle kamen, also auf 5 Monate rund 150 oder auf den Monat 30 Pest Todesfälle. Das Kirchenbuch berichtet: „Den 27. August 1636 Jochen Philips mit seiner Frau plötzlich gestorben, weil sich keiner gefunden, der sie beerdigt, sind sie im Hofe eingegraben worden und soll auch ein Kindlein bei ihnen eingegraben worden sein“. Am 2. September 1636 „ein Soldat, welcher hinter dem Fischerheuslein bis in den dritten Tag tot gelegen, daselbst eingraben lassen.“ Der Fischer bewirtschaftete ausser dem Mildegewässer sonderlich den Burggraben und wohnte als Gutsangestellter auf von Alvenslebenschem Grund und Boden dicht am Burggraben. Etwa im Jahre 1925 wurde ein fast braunes Skelett auf dem Gelände der Wassermühle gefunden, welches noch zu einer gerichtlichen Untersuchung Veranlassung gab, da man einen vor langer Zeit geschehenen Mord vermutete. Es ist nun nicht ausgeschlossen, dass das gefundene Skelett die Überreste des verscharten, an der Pest verstorbenen Soldaten, bildete. Unter dem 6. September 1636 berichtet das älteste übrigens wunderbar erhaltene und künstlerisch schön von einem Stendaler alten Buchbindermeister vor kurzem eingebundene Kirchenbuch, „die alte Frau mit ihrem Kindlein von Altmersleben an Pest gestorben. Ist, allhie keiner gefunden, der sie ins Sark legen wollte. Man hat einen von Altmersleben gesandt". Den 5. September 1636 „die lahme Schefferche, weil man niemand bewegen können, der sie ins Sarck gebracht, ist sie im Garten am Gardelebischen Thor begraben".

In der Kirche zu Calbe ist mancher schwedische Soldat beigesetzt. Das Kirchenbuch sagt dann von solchem Begräbnis auf soldatisch d. h. mit militärischem Gepränge. meist des Abends mit Fackelbegleitung, nachdem mit Gewalt der Eingang zur Kirche erzwungen war. Der Pfarrer, also Struvenus, wurde gar nicht gefragt; bitter bemerkt er „haben unseres Dienstes nicht gebraucht“. Ein andermal heißt es: „Ein Freiherr aus Bremen, welcher unter dem Lichtensteinschen Regiment Fenrich gewesen, allhie in der Kirche unter dem Schreiber (d. h. Bürgermeister) Stuel begraben 13.05. 1631“. Am Schluss des Krieges war die Stadt Calbe vollständig ruiniert und zählte im Jahre 1670 erst wieder 80 Bürger. Die Burg von Calbe, ein außerordentlich festes Schloß, das Haus genannt, war auf Befehl des schwachen brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm, des Vaters des großen Kurfürsten 1632 von den Alvenslebenschen Untertanen abgebrochen worden. Sie war zu Beginn des Krieges in Verteidigungszustand gesetzt, aber schon Fastnacht 1626 von den Dänen besetzt, welche von hier aus die Umgegend brandschatzten. Als die Pest im Dänenlager ausbrach, zogen sie ab. Aber am 3. Sept. 1626 besetzten brandenburgische Truppen dieselbe, 1630 dann wieder kaiserliche Truppen. 1631 wurde sie von den Schweden genommen. Jedesmal waren natürlich Brandschatzungen und Plünderungen mit solchem Wechsel verbunden. Um diesen Verwüstungsgreuel der armen Stadt und Umgebung in Zukunft zu ersparen, vielleicht auch aus Neid und Missgunst der kurfürstlichen Räte gegenüber dem mächtigen Geschlecht derer von Alvensleben erging nach langen, umständlichen, aber vergeblichen Verhandlungen der strickte Befehl des Kurfürsten zur Niederlegung(Schleifung) der Burg - einer gewaltigen Burg mit ihren stolzen Mauern und Zinnen, mit Türmen und Gräben, Vorburgen und Bastionen und mit eigenem Gotteshause (zum heiligen Kreuz). Nicht Feuer und Zerstörungswut raubgieriger Feinde legten die Burg in Schutt und Asche, sondern das „Wohl des Staates", auf dass sie nicht länger den Feinden zum Bollwerk für einer ihre Einfälle in die Altmark Vorschub leisten solle. So wurde im Jahre 1632 durch den Mund des Landesherren, der sein angestammtes Land lieber in Stich ließ, um in den ostpreußischen Wäldern der Jagd obzuliegen durch ihn und seine Räte dem stolzen Ritterschloss der Untergang diktiert. So geschehen am 6. bzw. 16. Juli 1632. Am 18. August 1632 wurde mit der Demolierung begonnen. Die Bewohner der Stadt Calbe und Umgegend wurden durch kurfürstlichen Befehl dazu getrieben, mit Gewaltmitteln aller Art die riesigen Mauern und Türme zu sprengen und zu stürzen, die herrlichen Prunkgemächer und festen Wohnräume zu zerstören. Das Kirchenbuch meldet unter dem 5. Nov. 1632 nüchtern: „Eine Frau aus Berkau, so bei tomolierung des Walles allhie zu thot gefallen, begraben".

Die einzigartig schöne Ruine am Burggraben ist ein stummer Zeuge von all den Kriegsgreul. Und in der Kirche zu St. Nicolai mitten drin, ein Zeuge, der ehrwürdige, Simon Struvius, der in all den furchtbaren Tagen in den letzten 5 Monaten eben viele Pestleiche zu beerdigen hatte. Dem Kirchenältesten Henning Tyleke starben an der Pest alle Kinder, seine Magd sowie ein Junge (Lehrling). Vor der Stadt, jenseits des Mildegrabens lag seit alten Zeiten das Sekenhus (Siechenhous) - - es steht heute noch - darin starben viele Pestkranke. Sie lagen nicht ohne Pflege. Es gab mildtätige Menschen, welche sich ihrer in christlicher Liebe erbarmten. Ein Weib welches in dem Sekenhus die Kranken pflegte, an Pest gestorben, so schreibt Struvis. Man steht sinnend vor dem durch Kirchenstühle halb verdeckten und vergessenen, sowie zerbrochenen Grabstein dieses treuen Zeugen des Evangeliums, der schon 1631 in sein Kirchenbuch schrieb: „Da tandem finem terrorum, eChristi laborum“ (d.h. gib endlich das Ende der Schrecken, der christlichen Leiden) und dennoch soviel ringen und kämpfen, beten und fliehen und dulden musste, wie ein Paul Gerhardt, der in seinem und unserem Trostlied gesungen hat: „ Mach End oh Herr, mach Ende mit all unser Not, stärk unsere Füß und Hände, und lass bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treue empfohlen sein, so gehen unsere Wege, gewiss zum Himmel ein.“ 1656 beschloss Struvius sein Leben und sein Amtsbruder hielt ihm die Leichenpredigt über 2. Tim.. 4 V. 7: „Jch habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigeleget die Krone der Gerechtigkeit welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird.“ Ein rechter Christ, ein echter Altmärker, in Estedt geboren, in Calbe gestorben. Noch heute trägt sein zerbrochener, und fast verdeckter Grabstein eine der beiden starken Eichensäulen, auf welchen die Priege der „Kapelle unserer lieben Frauen“ ruht, als ob noch der Tote das Evangelium und die Männer, welche es auf der Priege hören, tragen helfen wollte.

Zwei Schritte weiter in denselben Kirchenstuhl hinein führen den Besucher zu dem Denkstein eines von Alvenslebenschen, aus Braunschweig stammenden Gesamtrichters, namens Konrad Rahn, der 34 Jahre alt, 1631 verstarb. Der Denkstein, welcher allerdings recht verborgen unter Kirchbänken und einem Ofen liegt, ruft dem Beschauer auf Lateinisch die Worte zu: „Wanderer, steh' ein wenig still und lies so wirst Du ein Beispiel menschlicher Vergänglichkeit empfangen", und nun folgt eine übliche Lobrede, welche den darunter ruhenden Toten als einen sehr rechtschaffenden, gelehrten und zu den höchsten Ehren berufenen Mann schildert. Interessant ist der Vergleich mit der betreffenden Eintragung im Kirchenbuche. Sie lautet: „Am 26. Juli 1631 ist der am 17. Juli verstorbene von Alvenslebensche Gesamtrichter D. Conratus Rahn begraben in der Kirche, der er auch sein Ausstehendes bei denen von Alvensleben vermacht hat". Von fremder Hand sind später die Worte hinzugefügt: „Ubi sunt Gaudie?" d. h. wo sind die Freuden? so dass man aus diesen Worten entnehmen könnte, er sei ein besonders fröhlicher und ausgelassener Mensch gewesen, dem nun seine Freuden nach einem kurzen Leben für immer dahingeschwunden seien. Vor der nördlichen Wand zwischen Turm und nördlichem Kreuzarm ward 1689 ein Korporal vom Derflingerschen Regiment begraben. Der Platz kostete 8 Thaler. Im nördlichen Kreuzarm liegen noch einige Steinplatten, mit Bild und Inschrift vermutlich dem Erdboden zugekehrt, welche ihrer Umkehrung und Entzifferung harren. Im selben nördlichen Kreuzarm ostwärts konnte ich den Leichenstein eines Rademachers und Landwirts Joachim Schulz feststellen. Der Stein nennt ihn Senator und Agricols. Er ist der Vorfahr der Landwirt Schulz'schen (jezt Wallmann) Wirtschaft in der Stendalerstraße. Zum Unterschied von einem gleichnamigen Joachim Schulz „an der Ecke" (Petri) wird er Joachim Schulz „vorm Ort" genannt. Es ist das die einzige Landwirtsstelle außerhalb der Stadt, auf welcher in früheren Zeiten gleichzeitig eine Stellmacherei und Wagenbauerei betrieben wurde. Ob die vor der Turmwand in der Kirche rechter Hand liegenden Platten Reste von Denksteinen sind, ist ohne weiteres nicht festzustellen. Neben dem Ritter Penz redet ein Denkmal von einem Gesamtrichter Martin Schulze und seinen vielen Kindern, der hochbetagt sein Leben mit dem Kreuzeswort abschloß: „Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist". Es folgt die übliche Aufforderung an den Leser, gleichfalls dem Vorbilde des hier Ruhenden im Leben und Sterben nachzueifern. Die westliche Turmwand in der Kirche trägt den Denkstein einer Pfarrfrau mit einer schwülstigen, damals üblichen rationalistischen Inschrift. Die Gedenktafel zeigt zu Häupten eine Fackel, welche die in die Ewigkeit eilende Seele versinnbildlichen soll, und zu Füßen von einer Schlange durchbohrten Totenschädel als Symbol der durch Sünde und Tod verursachten Vergänglichkeit des Menschen. Die Inschrift lautet: „Ihr entseelten Gebeine der Frau F. Beate Elisabeth Heinzelmann, welche geboren 1713, verehelicht an Herrn Gebhard August Hahnen, wohlverdienten Archidiakonus allhier a. 1743 und mit demselben gezeuget 3 Söhne und 1 Tochter, die der Geist verlassen a. 1753, ruhet allhier und erwartet des Lebens am Ende der Tage. Leser, Wol dem, dessen Gebeine in der Hoffnung grünen." Übrigens zeigt auch der nachträglich angefertigte Aufsatz des künstlerisch schönen Denkmals des Ludolf von Alvensleben (über dem Apothekerstand) den auferstandenen Heiland mit der Siegesfahne, der unter seine Füße tritt zur Rechten, die durch eine üppige Frauengestalt verkörperte nackte Sünde, an ihren dreiklauigen Füßen gefesselt, und zur Linken den in skelettartiger Gestalt dargestellten Tod, dessen Füße gleichfalls durch Ketten gefesselt sind. Dieser Aufsatz trägt die Inschrift: „Ich bin die Auferstehung und das Leben". Die lateinische Unterschrift lautet: „Am 28. Januar 1562 verstarb der tatkräftige und wahrlich edle Ludolf von Alvensleben, der Statthalter Salzwedels, ein würdiger, von Fürsten und Freunden verehrter Mann, der Kirche und Staat mit allen Kräften diente, den alle liebten, an demselben Tage und zu derselben Stunde, an dem er vor 2 Jahren seine zweite Hochzeit feierte, fromm, gütig, im aufrichtigen Glauben und Vertrauen auf Gott."

Aus der neusten Zeit zu erwähnen ist das von kunstfertiger Hand eines hiesigen akademischen Bildhauers in Gestalt eines Flügelaltars aus dunklem Eichenholz angefertigte Ehrenmal der im Weltkriege gefallenen 70 Toten der Gemeinde Calbe. Es wirkt in seiner vornehmen Umgebung äußerst stimmungsvoll und bildet ohne Frage einen sehr ansehnlichen Schmuck der Kirche.

Die 3 anderen Gefallenen-Tafeln am Patronatstuhl, über der Kanzel und im oberen südlichen Kreuzarm, welche die Namen der in den Jahren 1813, 1864, 1866 und 1870 Gefallenen der Nachwelt künden, können leider auf künstlerische Ausführung keinen Anspruch machen. Wie dem aber auch sei; es bleibt in alle Zukunft bestehen: „Ehre sei den großen Toten einer ruhmvollen Vergangenheit des deutschen Vaterlandes und auch eines kleinen Ortes, der lieben Stadt Calbe a. Milde".

Im Turmraum folgt das noch sehr gut lesbare Denkmal des Superintendenten Johann Georg Reinherz Ewald, geb. zu Haage, Kr. Westhavelland, gest. 1816 in Calbe a. M. . Vor der östlichen Kirchtür liegt auf dem Kirchhof der Leichenstein der ersten Frau des Superintendenten und Konsistorialrates Goklenius †1743. Ein halber Leichenstein des von Alvenslebenschen Gesamtrichters Johann Heinrich Hardemann †1725 ist zu einem Trittstein für die neben der Sakristei stehende Leichenkapelle verwandt worden. Im ganzen sind nur verschwindend wenig Grabsteine der Nachwelt erhalten geblieben. Sehr kostbar sind die im südlichen Kreuzarm - der „Kapelle unserer lieben Frauen" befindlichen Sandstein- Reliefs, eingemauert, das eine die Krönung der Marie zur Himmelskönigin, das andere Maria mit dem Kinde auf dem Schoß und neben ihr Anna mit einem Buch in der Hand darstellend, beide mit der Unterschrift nebst Wappen; Gevert von Alvensleben, Frede von Wenden, ersteres mit der Jahreszahl 1520, letzteres mit der Jahreszahl 1522, Werke von hohem künstlerischem Werte, die fast auf einen Nürnberger Meister hinweisen möchten die beiden ältesten Kunstdenkmäler in unserer Kirche. Wie einst die alten Kulturvölker ihre Geschichte steinernen Denkmälern und Tafeln anvertrauten, so ist auch hier im kleinen jeder Stein ein Zeugnis längst vergangener Zeit, in welcher auch Menschen lebten, wirkten und litten.

Ewig schade, dass bei den kümmerlichen sonstigen Nachrichten unserer Stadt so viele Urkunden sinn- und gedankenlos preisgegeben wurden. Wenn sich die Gemeinde im Gotteshause zum Gottesdienst versammelt, ahnen es wohl die wenigsten, dass auch eine große Gemeinde der Toten zu ihren Füßen versammelt ist. Die ganze Kirche vom nördlichen Kreuzarm quer durch die Kirche bis in den südlichen Arm hinein ist unterwölbt. Die diesbezüglichen Merkmale sind 2 vergitterte Fenster zu ebener Erde im nördlichen Kreuzarm; desgleichen wurde beim Herunterschlagen des alten Putzes der Kirche auch im südlichen Kreuzarm ein gleiches viereckiges, fast völlig verrostetes Gewölbefenster freigelegt. Ein Baum hatte einen starken Wurzelarm in dasselbe bis in das Gewölbe tief hineingetrieben. Dieses war von einer im nördlichen Kreuzesarm etwa unter den beiden hinteren eichenen Säulen befindlichen Treppe durch eine vermauerte Tür zugänglich, ist aber zur Neu Zeit verschüttet. Es birgt viele Tote, die einstmals vornehmen Familien angehörten. Galt es doch als unbestrittenes Vorrecht der adligen Familien in Calbe, ihre Verstorbenen nicht zu begraben, d. h. ins Grab zu legen, sondern beizusetzen, d. h. zu den bereits Verstorbenen hinzusetzen. Aber nicht nur die Toten vornehmen Geschlechtes, sondern auch die Ortspfarrer und viele gut bürgerliche, angesehene Calbenser wollten im stillen Frieden ihres geliebten Gotteshauses der Ewigkeit entgegenschlummern. Immer wieder berichten die alten Kirchenbücher, dass der und die Erwachsene und auch Kinder mit einem Leichensermon beigesetzt wurden. Das geschah der Feierlichkeit halber meist abends bei Fackelbeleuchtung und oft großem Leichengepränge. Niemand kann die Toten zählen, welche in dem unterirdischen Gewölbe der Kirche ruhen. Es wird berichtet, dass noch vor etwa 80 Jahren dasselbe zugänglich gewesen sei. Nach dem Bericht einiger Ohrenzeugen sei damals die Gewölbedecke durch Morschwerden der aufgelegten Balken wiederholt eingebrochen. Man hat sich damit zu helfen gewusst, dass man die entstandenen Bruchstellen einfach mit einigen Fuhren Kies zuschüttete und dann die Decke mit Steinen und Kalk und zuletzt leider mit Zement ausglättete. So dürfte ein Zutritt zu der unteren Totengemeinde für Lebende völlig unmöglich sein. Jüngst berichtete die geschichtliche Sonntagsbeilage des „Salzwedeler Wochenblatts von einem geheimnisvollen Schatz von vielen 1.000 Goldgulden, der in Calbe auf der Burg oder in der Stadtkirche in einem Pfeiler eingemauert sein soll. Auf Veranlassung Friedrichs des Großen hätten Nachforschungen in Calbe an beiden Stellen eingesetzt, aber zu keinem Ergebnis geführt. Die Volkssage liebt es ja, gerade alte Burgen und Kirchen mit allerlei geheimnisvollen Rankwerk zu umflechten. So kündet die Sage von einer goldenen Wiege im Burggraben und von einem goldenen Ringe der von Alvenslebenschen Familie. Oder es soll gar der gewaltige Schatz in einem Steinsarg im Burggraben versenkt worden sein.
Wirklich, wie die Salzwedeler schreibt: „Für alle Schatzgräber eröffnen sich ungeahnte Aussichten, und wenn es einem gelingen sollte, diesen kostbaren Hort aufzustöbern, dann könnte er vielleicht ein reicher Mann werden." In unserer Kirche gibt es leider gar keinen Pfeiler, in welchem der Schatz hätte eingemauert werden können. Die ganze Kirche besteht aus festestem Feldsteinmauerwerk, und der eingemauerte Schatz wird wohl eine schöne Sage bleiben. Aber wie dem auch sei wir wissen von anderen bescheidenen Schätzen, nicht aus purem Golde, die unserer Kirche einst gehörten oder gar heute noch in ihrem Besitze sind. Da merken nun wir auf: Also nach den Kirchenvisitationsabschieden von 1543, 1551 und 1600, welche von dem verewigten Superintendenten Müller in Calbe a. M. für die ganze Altmark herausgegeben worden sind, besass unsere Kirche 1551 zwei Abendmahlskelche (bestimmt von Silber), einen zum hohen Altar (also für die Kirche) den anderen zu „Unserer lieben Frauen Kapelle" in der Kirche gelegen. Damit ist also das untere Stockwerk des südlichen Kreuzarmes, in welchem die beiden Reliefs der Maria sich befinden, gemeint, das im Jahre 1573 zum Kreuzarm ausgebaut wurde und kurz „Kapelle" hieß. Ferner gehörten der Kirche eine Monstranz, ein Pacem (d. h. ein silbernes Gerät, welches den Gläubigen zur Verehrung d. h. zum Küssen dargereicht sein dürfte), 2 kleine silberne Bilder, eins unserer lieben Frauen, das andere St. Katherinen. Alle diese heiligen Geräte dürften noch aus der katholischen Zeit übernommen gewesen sein.

1551 besitzt die Kirche 4 Kelche, darunter einen für die Kranken, 1 Monstranz, etliche Ornate. Nach einem Vergleichsakt der Alvenslebens vom 13. Mai 1569 wurden Silbergeräte der Kirche und Kapelle zu Calbe verkauft; ein Kelch aus der Kirche zu Calbe soll nach Mieste geschafft werden. 1600 werden genannt 3 silberne, vergüldete Kelche, 4 Patenen (Oblatenteller,) 2 Rörichen (vielleicht auch beim hl. Abendmahl gebraucht): 2 gute schwarzsamtne Meßgewänder, das eine mit einem güldnen Kruzifix. An Barschaft waren 1600 vorhanden 578 Gulden. Alle diese Schätze sind im 30 jährigen Kriege verschwunden, von Soldaten gestohlen, vielleicht nach Schweden verschleppt. Das war vor diesem Kriege ein armes Land gewesen, in dem die Häuser kaum mit Ziegeln gedeckt standen, aber nachher sich einer gewissen Wohlhabenheit erfreute. Wenn der schon erwähnte Gesamtrichter Christoph Lotichius der Kirche ein kostbares Meßgewand 1648 geschenkt hat, so ist anzunehmen, dass der Kirche ein solches Amtskleid für den Pfarrer fehlte. Den 30 jährigen Krieg allein überdauert haben die wertvolle Bibliothek des ersten Predigers Elias Hoffmann, das älteste Kirchenbuch von 1627, sowie von den heiligen Geräten das Taufbecken und der Abendmahlskelch mit Patene. Das Kirchenbuch war übrigens auch ein Geschenk eines von Alvenslebenschen Gesamtrichters, wie die Titelseite angibt: „Dies Buch hat Herr Konratus Kölerus der Kirche verehret".
Auch die Kirchendenkmäler waren verschont geblieben.. Aber die Kirche war arm geworden, wie auch die Stadt und das von Alvenslebensche Geschlecht, ihr Haus", das herrliche Schloß dahin, ihr Besitz ruiniert, wie eben auch. ganz Deutschland. Ein leidliches kirchliches Leben war erhalten geblieben. Das Kirchenbuch wurde regelmäßig und peinlich sauber von dem treuen Inspektor Simon Struvius geführt. 1642 werden viele Kinder durch Struvius getauft, welche von fernher aus ihren Geburtsorten, die keinen Pfarrer mehr hatten, zur Taufe nach Calbe gebracht waren. Es waren das sehr viele Kinder aus Estedt, woher Struvius ja stammte, ferner aus Rohrberg, Kremkau, Neuendorf, Zichtau, Holzhausen, Gr. Engersen, Gr. Apenburg, Garlipp, Mahlsdorf und wieder sehr viele Kinder aus Bismark. Das sind außer Neuendorf, Holzhausen und Mahlsdorf alles Pfarrorte, die zu damaliger Zeit also keinen Pfarrer hatten, sie waren geflohen, verschleppt, gestorben, verdorben Calbe muß immerhin noch etwas Schuss gehabt haben, vielleicht durch den Einfluss der Herren von Alvensleben auf die höheren Führer der Soldateska.

Nach dieser Abschweifung kommen wir wieder auf die Schätze der Kirche zurück. Auf einer der ersten Seiten des kostbaren, ältesten Kirchenbuches lesen wir aus dem Jahre 1628: Der Arnoldus Edler (Busso von Alvenslebens Amtsschreiber) und Johann Schulze, der Bürgermeister, haben im vorigen Jahre fleißig gebeten, ihnen zu vergönnen, dass sie die Bank für die Taufe (vor dem Taufstein) vorne zumachen oder zubauen möchten, damit man denen (d. h. ihren) Frauen nicht auf den Leib sehe (ihre Frauen saßen also ganz frei, und es konnten nun andere Gottesdienstbesucher ihre vielleicht besseren Sonntagskleider voll Neid anschauen.) Solch auf dem Präsentierteller sitzen ist auch heute noch nicht angenehm. Weil sie aber im Bauen die Maße überschritten, haben sie dasselbe, wiewohl begonnen, auf diese Zeit wieder abnehmen lassen müssen. Ist mit der conditio (Bedingung) geschehen, dass keins die Macht haben solle, zu sich einzunehmen, dass wenn Arnoldus etwa vorzöge, die Kirche mit dem Stande nach ihrem Gefallen zu tun Macht haben sollte. Und wenn etwa nach Absterben des Bürgermeisters ein anderer das Haus bewohnen würde, dem solcher Ort in der Kirche nicht gebührte, mag alsdann auch andere Verordnung gemacht werden. Es hat aber Arnoldus ein Messing-Becken deswegen in die Kirche gegeben, welches in der Taufe gebraucht werden soll; der Bürgermeister aber eine Kanne, so man auf dem Altar zum Wein gebraucht".

Dies Taufbecken dient nun schon seit 305 Jahren bis auf den heutigen Tag bei allen Taufen. 10 Generationen sind aus diesem Taufbecken in Calbe getauft worden. Wenn man durchschnittlich 50 Taufen im Jahre rechnen darf, so kommt man auf 15.000 evangelische Christen, welche aus diesem ehrwürdigen Taufbecken die heilige Taufe empfangen haben. Von dem langen Gebrauch sind die Figuren der Gestalten des Taufbeckens fast abgegriffen. Dargestellt ist Mariä Verkündigung. Der am Betpult knienden Jungfrau Maria erscheint der Engel Gabriel und verkündet ihr nach Luc. 1,35 „Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten, darum auch das Heilige, das von dir geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden". In der Höhe über den beiden Gestalten der betenden Maria und des verkündigenden Engels schwebt der heilige Geist in der Gestalt einer Taube. Im Grunde und auf dem Rande finden sich je 2 Bänder von Ornamenten in Gestalt von Buchstaben. Bisher ist es noch keinem Forscher gelungen, diese Buchstaben zu entziffern. So bleibt es ungewiss, ob man es mit einem Ornament oder etwa mit einer Marke des Herstellers zu tun hat. Auf dem Rande stehen die Namen der Spender Arnoldus Edler und seiner Frau Elisabeth Volkerling (sie war die Witwe des Diakonus Bartholomäus Pauli in Calbe gewesen.) Diese Taufbecken wurden im Mittelalter z. B. in Nürnberg gewerbsmäßig hergestellt und durch ganz Europa bis nach Nowgorod in Russland vertrieben. Ein ganz kostbares Exemplar besitzt das märkische Museum Berlin in viel größerer Ausführung, aber mit ganz genau derselben Darstellung der Verkündigung Mariä, auch in Messing. Ich war hoch erfreut, als ich gleich im ersten Saale des Museums, der verschiedene Glocken aus märkischen Kirchen birgt, als Prunkstück dieses schöne bronzene Taufbecken erblickte.
Ein zweites ehrwürdiges, ebenso altes Wertstück besitzt unsere Kirche an ihrem silbernen Abendmahlskelch. Im Jahre 1646 schenkten der Kirchvater (älteste) Johann Pumborg, dessen Namen auch auf der zweiten Glocke steht, 1646, also kurz vor seinem Tode, und seine Frau Anne Koch der Kirche diesen Kelch, der 1779 umgearbeitet, noch heute der Gemeinde beim heiligen Abendmahl dient. Zwischen dem Kelch und seinem Fuß ist ein sechsplattiger Griff angebracht, damit der Pfarrer beim Austeilen des Kelches bequem denselben drehen und also 6 Abendmahlsgäste trinken lassen kann, ehe er von neuem den Kelchrand mit dem Wischtuch säubern kann. Die Namen der Stifter und die beiden Jahreszahlen 1646 und 1779 sind deutlich lesbar. Ein eigenartiges Geschick hat der alte, jetzt noch benutzte Taufstein gehabt. Er muss bei dem großen Reparaturbau der Kirche 1754/55 vergessen worden sein und kam arg beschädigt im Jahre 1841 unter dem im Turm liegenden Schutt wieder zum Vorschein. 100 Jahre hatte er dort geschlummert, denn niemand kannte ihn mehr; hatte man doch in dieser Zeitspanne am Altar taufen gelernt. Ein Calbenser Tischler (!) erbot sich jetzt, die einzelnen Stücke wieder zusammenzufügen und das Fehlende zu ersetzen. Der Versuch gelang zur vollen Zufriedenheit. So steht er heute noch, fast wieder 100 Jahre an seiner alten Stelle, und man sieht ihm die Spuren der Zerstörung und der „fachkundigen" Reparatur durch geschickte Tischlerhände kaum mehr an. Geziert ist er durch verschiedene Darstellungen aus dem Leben des Heilandes. Die Kanzel ist ein ganz schlichtes Bauwerk aus einfacher Handwerksstätte. Desgleichen können die Bilder der Evangelisten an den Holzflächen des Kanzelstuhles auf künstlerischen Wert keinerlei Anspruch erheben. Seit unfeststellbarer Zeit gab es eine bescheidene Orgel. Die Herren von Alvensleben setzten im Jahre 1507 eine Landdotation für den Organisten sowie für alle anderen Kirchenbeamten aus. Bei dem großen Umbau der Kirche vom Jahre 1573 wurde auch die Orgel vergrößert, da sie ja einen erweiterten Kirchenraum auszufüllen hatte.

Als Busso von Alvensleben 1654 gestorben war, läuteten im Gesamtgericht, also in allen zur von AIvensleben' schen Herrschaft gehörenden Dörfern 4 Wochen lang die Glocken, die Orgel in Calbe hat aber stillgestanden". Die jetzige Orgel ist ein modernes Werk mit 2 Manualen und 1 Pedal. Sie ist pneumatisch, hat sehr gute Register und wird von sachkundiger Hand gespielt. Ein mit viel Liebe geleiteter und wohlgeschulter 3 stimmiger Frauen-Kirchenchor bereichert in sehr erbaulicher Weise die Gottesdienste an Feiertagen. Im Weltkriege verfielen auch die zinnernen Orgelpfeifen des Prospektes der Beschlagnahme. Die unter Leitung eines Kirchenkunstmalers 1933 erfolgte Ausmalung der Kirche und eine damit verbundene Reparatur sieht auch die Wiederherstellung des Orgelprospektes vor, der nun mehr eine Zierde der erneuerten Kirche werden dürfte. Es erübrigen sich nunmehr noch längere Ausführungen über das schöne Geläut der Kirche. Dasselbe besteht aus 3 Bronzeglocken mit schönem, weichen und vollen Klang. 1737 Die größte Glocke, einst mit dem Bilde der Jungfrau angeht, Maria geziert und der Umschrift V, rex gloriae rum pace JHS Marie MCCCCXV (d. h. Komm, König der Ehren mit Frieden Jesus Mariä Sohn 1415), war 1415 von unseres Clawes Bannestedt in Madeborg gegossen worden, mußte aber im 19. Jahrhundert mehrmals umgegossen werden, zuletzt im Jahre 1912 von der Firma Gebrüder Radler in Hildesheim. Als Schmuck trug sie zwei Reliefs a) das Jesuskind mit Maria und den anbetenden Hirten, sowie 1631 dem Engel der Weihnacht b) Maria mit dem Jesuskinde auf dem Arm. Die Glocke wog 1.950 kg und hatte einen Durchmesser von 146 cm. Am 28. August 1917 wurde sie nach einer erhebenden Abschiedsfeier dem Vaterlande geopfert. Durch freiwillige Spenden konnte sie 1924 durch eine ebenso wertvolle Bronzeglocke ersetzt werden. Die Glockengießerei Gebrüder Schilling in Apolda lieferte diese neu in derselben Größe wie die alte mit dem Glockenton D1 und dem Oberton F. Die Kosten betrugen RM. 5.576.-. Sie wiegt 1.992 kg, also 42 kg mehr als ihre Vorgängerin. Namen und Zeichnung erhielt sie nicht, sondern nur den Spruch: „Ehre sei Gott in der Höhe“ und darunter die Inschrift: „Von der Liebe der Kirchengemeinde Calbe a. M. in schwerer Zeit für die 1912 um gegossene und 1917 dem Vaterlande geopferte Glocke neu beschafft im Jahre 1924.

Die zweite Glocke wurde der Gemeinde 1917 belassen. Sie trägt die lateinische Inschrift: Laudi Jehovae servio (d. h. ich diene dem Lobe Gottes) und außerdem die Namen Gebhard und Busso, Vettern von Alvensleben, Christoph Lotichius, index (d. h. Richter), Simon Struvius, Pastor, Joachim Lüder, Johann Pumborg, Kirchvater, Hans Stier, Kastenherr. Heinrich Borstelmann in Braunschweig hat mich gegossen, in Gottes Namen bin ich durchs Feuer geflossen anno 1647. Das Relief stellt dar: Gott Vater gibt den Gekreuzigten der Welt. Diese 2. Glocke ruft noch heute nach fast 300 Jahren die Gläubigen zum Gottesdienst. Sie trägt den Ton F, wiegt 850 kg und kostete seinerzeit 157 Taler (also 471. Mk.) und zwar 155 Taler und 2 Taler Drinkgeld. Wer die 157 Taler bezahlt hat, ob die Kirchenkasse oder andere Spender der Gemeinde, ist nicht mehr festzustellen. (Sie wurde als Dank von den Überlebenden der großen Pestepedemie gespendet.) Die dritte Glocke war 1725 gegossen und hatte einen Durchmesser von 46 cm. Als Inschrift trug sie nur den Namen M. J. C. Goclenius, Inspektor huius exlesiae anna MDCCXXV (d. h. Goklenius, Inspektor dieser Kirche 1725). Auch sie wurde 1917 für das Vaterlande geopfert und ebenfalls im Jahre 1924 durch freiwillige Spenden der Gemeindeglieder mit RM. 1.737. bezahlt. Ihre Inschrift lautet: Von der Kirchengemeinde für die 1725 gegossene und 1917 dem Vaterlande geopferte Glocke neubeschafft im Jahre 1924. Sie wiegt 62 kg und hat den Ton as 2 Interessant ist der Kostenpreis 1924 im Vergleich zu dem von 1647. Das Glockengut kostete 1647 das Kilo 55 Pfg. das wird damals zu Ende des 30 jährigen Krieges ein ungeheuerer Preis gewesen sein. Der Gussort war Braunschweig, Magdeburg war bekanntlich im Mai 1631 zerstört worden, eine Glockengießerei wird es in Magdeburg im Jahre 1647 noch nicht wieder gegeben haben. Die Bronze 1924 kostete pro Kilo 2,80 RM. Das war kurz nach Stabilisierung der Reichsmark auch ein sehr hoher Preis. Aber immerhin ist diese Gegenüberstellung, 55 Pfg., und 2.80 RM. für das Kilo Glockengut sehr interessant. Die Begeisterung für Beschaffung neuer Glocken war in Calbe allgemein. Als es sich um die Frage handelte: Stahl oder Bronzeglocken und als Nachteil und Vorteil in der Besprechung gegeneinander abgewogen wurden, erscholl der Ruf: Wir wollen Bronzeglocken. Die Kostendeckungsfrage wurde dem Gemeindekirchenrat überlassen, und dieser schickte jedem Gemeindegliede die Berechnung seines Anteils zu. Die ersten beiden Gaben kamen aus politisch ganz links stehenden Kreisen das soll hier nicht unerwähnt bleiben. Ihnen folgten in edlem Wetteifer die Spenden aus allen Kreisen der Bevölkerung. Freilich bedurfte es auch manchmal der Aufmunterung bei säumigen Zahlern, nur verschwindend wenige schlossen sich von der allgemeinen Gebefreudigkeit aus.
Dieselbe Begeisterung war auch im Filial Vahrholz festzustellen. Nach einstündiger lebhafter Debatte über die Kostenverteilung wurde auch dort der einstimmige Beschluss der Beschaffung von Bronzeglocken gefasst. Ja, die lieben Vahrholzer überboten sich selbst, als einige ihrer Gemeindeglieder nach einigen Tagen die Angestellten der Glockenfirma bei ihrer Abreise in der Eisenbahn trafen und kurzerhand Bronzeglocken aber eine Nummer größer als die beschlossene" bestellten. Ihr eigenmächtiges Verfahren wurde einmütig gebilligt. Die Kostendeckung zu den ausgemachten Terminen vollzog sich glatt.

In Calbe wurden die bekränzten Glocken vom Bahnhof unter großer Beteiligung aller Behörden und Vereine feierlich eingeholt. Gesänge und Musik einer freiwillig gestellten Kapelle wechselten einander ab. Gern werden wir noch an diesen Feiertag und die folgende gottesdienstliche Feier zurückdenken. Es war 1924 noch die rechte Zeit zum freiwilligen Aufbringen einer so großen Summe von rund 7.500. gewesen; heute, im Jahre 1934, dürfte es unmöglich erscheinen, in einem Ort von nicht 2.000 die Seelen eine solche Riesensumme durch freiwillige Gaben flüssig zu machen. Der Klang des Geläutes täuschte die gehegten Erwartungen in keiner Weise.

Wie vordem das alte Geläut in der Umgebung als eines der schönsten galt, so erfreuen die hehren, tiefen Herr Klänge des neuen die Gemeinde von Calbe und Umgegend. Die drei Glocken können nicht zusammen geläutet werden, da sie wegen der großen Gewichts- und Tonunterschiede mit der kleinsten Glocke keine Harmonie ergeben. Diese kleinste dient als Beyer- oder Seyerglocke zum Vor- und Ausläuten. An unserem herrlichen Geläut haben wir nun wieder einen der größten Schätze unserer ehrwürdigen Nicolaikirche, aber nicht den allergrößten. Der ist noch nicht da. Das ist nämlich die gesamte Kirchengemeinde. Wenn an hohen Festtagen das Gotteshaus bis auf den letzten Platz besetzt ist, und die Leute sich drängen, dann wird der höchste Schatz der Kirche einmal sichtbar. Aber manchmal ist er sehr verborgen, nicht irgendwo in einem Pfeiler, wie der sagenhafte goldene Schatz von Calbe, sondern in der Trägheit und Bequemlichkeit vieler Gemeindeglieder. Von einer versammelten, einigen und gläubigen Gemeinde gilt auch, was im Psalm 19 v. 10 und 11 gesagt wird: „Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich. Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig. Sie sind köstlicher denn Gold und viel feines Gold". Wir wollen bitten und wünschen, dass es den Führern des dritten Reiches nicht bloß gelingen möchte, ein einiges, geschlossenes deutsches Volk zusammenzuschweißen, sondern erst recht ein einiges, geschlossenes Volk Gottes. Möchten wir alle singen und beten lernen: „Herr, dein Wort, die edle Gabe, diesen Schatz erhalte mir, denn ich zieh ihn aller Habe und dem größten Reichtum für. Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, worauf soll der Glaube ruhn? Mir ist's nicht um 1.000 Welten, aber um dein Wort zu tun". Soeben geht mir die Nachricht aus Calbe zu, dass man unterhalb der Kanzel 2 wertvolle Grabmäler aus den Jahren 1534 und 1567 gefunden habe ich vermute, dass noch mehrere solcher Grabplatten in der Nicolaikirche verborgen sind, welche von der großen Vergangenheit unserer Stadt erzählen könnten.

Unsere Kirche ist umgeben von einem Kirchhofe, welcher die Toten birgt, deren Namen aus den alten Kirchenbüchern, dem völlig geläufig sind, der darin zu lesen hat. Der Kirchplatz stellt unfraglich die älteste Begräbnisstätte der Ortsgemeinde Calbe dar. Im Jahre 1841 wurde er geschlossen, aber noch für einige reservierte Grabstellen bis zum Jahre 1850 freigehalten. Gerade gegenüber der Haupteingangstür zur Kirche ruht der Vater des den alten Calbensern noch wohlbekannten Kantors Lübeck, dessen Grab der greise Kantor noch immer seinerzeit pflegte, das aber jetzt der Vergessenheit anheimgefallen ist. An der Hinterfront des ehemaligen Armenhauses lag die Begräbnisstätte der Familie Herper. Als im Jahre 1929 eine vor der Sakristeitür dem Frost des Winters 1928 zum Opfer gefallene alte Kastanie ausgerodet werden mußte, hob der Stumpf des Baumes eine in ihm fest eingewachsene Gewölbekuppe heraus, in welcher man fast mit Bestimmtheit das Grab des 1783 verstorbenen Inspektors (Superintendenten) Friedrich Wilhelm Supert vermuten durfte. Dieser von 1758 bis 1783 in Calbe im Amt befindlich gewesene Prediger war auf seinen ausdrücklichen Wunsch nicht in der Kirche beigesetzt er wollte seinen Nächsten auch nicht im Tode schaden" sondern gerade der Sakristei gegenüber begraben werden". Von sonstigen Gräbern ist mir nichts bekannt geworden. Den Kirchhof umschloß eine wenig schöne ca. 1 m hohe Mauer, welche im Jahre 1919 abgebrochen wurde. In diesem Jahre wurde das baufällige alte Haus des Elias Hoffmann zwecks Abbruch an gekauft. Die Kaufsumme kam durch freiwillige Spenden zusammen. Da von einigen Spendern die Gaben von dem Abbruch der nicht mehr zeitgemäßen Kirchhofsmauer mitten in der Stadt abhängig gemacht wurde, kam der Gemeindekirchenrat diesem Wunsche nach. Die Mauer fiel und gab den Platz frei für passende Blumenanlagen, welche der Stadt Calbe bisher noch völlig fehlen.

Bemerkenswert sind noch einige alte Bäume. In der Mitte des freien Platzes vor dem Kirchturm stand eine etwa 150 Jahre alte hohe Kastanie. Sie fiel dem Frost des Februar 1928 anheim und wurde ausgerodet. Ihr Stand war ungünstig und verdeckte den schönen Turm sowie die Turmuhr. Das gleiche Schicksal teilte eine zum 31000 jährigen Gedächtnis des deutschen Reiches im Jahre 1843 gepflanzte Eiche. Sie stand in der nordwestlichen Ecke des Kirchhofes neben dem zugleich mit der Kirchhofsmauer verschwundenen Kirchhofs-Torweg. Eine im Jahre 1883 gepflanzte „Lutherlinde", welche jetzt gerade 50 Jahre alt ist, finden wir in voller Kraft etwa in der Mitte einer von der Nordwestecke des Kirchturmes bis zur nordwestlichen Ecke des nördlichen Kreuzarmes gedachten Linie stehen. Ebenso kündet noch ihre volle Kraft die 1871 gepflanzte deutsche Eiche an dem nordöstlichen Eingang (bezw. Pflasterweg) des Kirchhofes, jetzt 62 Jahre alt.

Ehe wir den Kirchplatz verlassen, müssen wir uns noch nach den Uhren der Kirche umschauen. Sie besitzt deren drei. An der von Osten nach Westen gerichteten Wand, der „Kapelle", also des südlichen Kreuzarmes der Kirche, finden wir ihre älteste Uhr wahrscheinlich beim ersten großen Umbau der Kirche im Jahre 1573 entstanden Die In der Zeit, als man noch kein Räderwerk für Zeitmesser zur Verfügung hatte, behalf man sich zum Erkennen der Zeit der Naturkräfte. Der Seemann errechnet noch heute an der Stellung der Gestirne die Stunde und den Standort seines Schiffes; der Landmann vermag bei seiner Feldarbeit am Stand der Sonne die Tageszeit ziemlich genau abzulesen, und die Hausfrau braucht zum Kochen der Eier ihre kleine Sand-Eieruhr. So gab es Sonnenuhren, Sanduhren, Wasseruhren. Die Sonnenuhr an der ein Südfront der „Kapelle" hat unseren Vorfahren die Tageszeit genau angezeigt, als sie noch keine Uhr im Hause kannten. Im Scheitelpunkt eines mit den Stundenzahlen bezeichneten Halbkreises steht parallel zur Erdachse, also schräg, ein eiserner Stab, dessen Schatten sich mit dem Lauf der Sonne gleichmäßig fortbewegt und so die genaue Sonnenzeit an dem Zifferblatt angibt. Manch einer hat schon verwundernd diese alte ehrwürdige Uhr, still seine Taschenuhr gezogen und dann kopfschüttelnd gesagt, eure Sonnenuhr ist ja ganz eigenartig, aber sie geht falsch. Gemach, lieber Freund, die Sonne geht nicht falsch. Lies nach, im Psalm 74 V. 16 steht: „Tag und Nacht, oh Herr, ist dein, du machst, dass beide Sonne und Gestirn, ihren gewissen Lauf haben." Aber Freund, deine Taschenuhr ist wohl sehr gut, aber geht falsch. Unsere Uhren sind ja alle künstlich und einheitlich nach mitteleuropäischer Zeit gestellt und gehen in Calbe etwa eine halbe Stunde vor. Sie zeigen etwa die Zeit von Stargard i. B. an, die Sonnenuhr geht ganz richtig. Gott der Herr ist Sonne und Schild". Aber nach 1. Cor. 15 V. 41 gilt es auch: „Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond". Wenn du etwa bei hellem Mondschein einmal an unserer altehrwürdigen Sonnenuhr vorübergehst, dann darfst du ruhig den Kopf schütteln und sagen: Des Nachts bei Mondenschein geht die Sonnenuhr falsch. Dann geht deine Taschenuhr doch richtiger als unsere Sonnenuhr von 1573. Aber bei Tage zeigt sie, ohne je gestellt oder aufgezogen zu sein, nun schon seit 360 Jahren unentwegt die richtige Zeit, und, will's Gott, möge sie der lieben alten Stadt noch recht lange Zeit und Stunde anzeigen, glücklichere, als in den erlebten, schweren letzten 20 Jahren. Das ist die erste Uhr.

Der Prediger in der Kirche hatte, als noch nicht die Viertelstunden von der Turmuhr ihm in seine Predigt hineinklangen, auf der Kanzel seine Sanduhr zu stehen. Vor der Predigt drehte er sie um, und es rieselte nun in den 4 Glasbehältern der Sand allmählich hernieder, 1/4, 1/2, 3/4, 4/4 Stunde lang. Hatte er einmal zu lange gepredigt, konnte er, wie man so scherzhaft sagt, einmal nicht „landen", dann mahnten ihn die leergelaufenen Sandgläser, schnellstens aufzuhören. Die altehrwürdige Sanduhr wird als Museumsstück noch einmal zu Ehren kommen; vorläufig hat sie in der Bibliothek Aufnahme gefunden. An ihren ehemaligen Platz in der Kirche erinnert nur noch der gleichfalls noch an der Kanzel erhaltene eiserne Träger zur rechten Hand. Die dritte Uhr unserer Kirche ist die in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschaffte Turmuhr mit richtigem, soliden Räderwerk, deren neu vergoldetes Zifferblatt weithin leuchtet. Sie tut recht und schlecht ihren Dienst, pünktlich und gewissenhaft, ist aber auch Wind und Wetter ausgesetzt, und wird bei Schneesturm und bitterer Kälte hin und wieder müde. Nun können wir unseren Nicolaikirchhof verlassen und zu den anderen Kirchhöfen wandern. Die schöne Lindenreihe an der Nordseite der Kirche, welche noch auf dem Kirchhofe war, konnte nach dem Abbruch der Mauer stehen bleiben und bildet einen schönen grünen Schmuck des Kirchplatzes.

Von anderen Kirchhöfen sind zu erwähnen zunächst der Ilsenkirchhof, 1738 eingeweiht und nach der ersten dort begrabenen Frau Ilsabe Pezholz benannt. Er liegt in der Schützenstraße auf dem Gelände des Woost'schen Grundstückes und der Molkerei. Er wurde auch Armeleute-Kirch-hof genannt, stand also nicht in dem Rang des die Kirche umgebenden Kirchhofes. Auch wurden auf ihm die Selbstmörder beerdigt. Mit der Schließung des Stadtkirchhofes 1841 ergab sich die Notwendigkeit, eine andere Begräbnisstätte einzurichten. Am 3. Juni 1845 wurde der „alte Kirchhof" genannte Friedhof eingeweiht durch das Begräbnis eines 8 jährigen Mädchens. Ein bemerkenswertes Grab auf dem alten Kirchhof ist das des ehemaligen Wassermüllers Wilhelm Müller, eines alten Calbenser Originals und auf den Gesangsfesten beliebten Sängers, der als alter Freiheitskämpfer sich eine ebenso originelle Inschrift auf seinen schönen Denkstein sehen ließ „der seine Seel' im Pulverdampf dem Herrn befahl im Freiheitskampf."
Nach 30 Jahren war auch dieser Friedhof wieder vollbelegt, ist aber zur Zeit zu einem bescheidenen Park umgewandelt und bietet mit seinem herrlichen alten Fliederbestande und dem Gesang der Nachtigallen zur Frühlingszeit eine kleine Sehenswürdigkeit und ein beliebtes Ziel der Spaziergänger. Der jetzt benutzte und durch schöne Anlagen schon erweiterte, stimmungsvolle Friedhof, mit seinem seitlichen von dem Vater des Privatmannes August Dannehl angelegten herrlichen Eichenwall wurde mit der Beerdigung eines gewissen Schwerin von der Burg in Gebrauch genommen und gelegentlich einer Trauerfeier für eine Frau Lehrer Neumann am 1. Jan. 1873 feierlich eingeweiht. Im Jahre 1830 legte das Rittergut II im Berggarten etwa an der Stelle des jetzigen Postamtes einen Privatfriedhof an, der aber, soweit ich orientiert bin, wieder nach anderweitiger Überführung der dortigen Toten geschlossen wurde. Als 1837 Herr von Alvensleben das Gelände zwischen der Wernstedter und Vahrholzer Chaussee zu einem Friedhof für seine und der zu seinem Rittergut gehörenden Familien bestimmt hatte und zunächst einen Graben zur Umfriedung dieses kleinen Kirchhofes aufwerfen ließ, stellte sich heraus, dass dieser Platz schon vor Zeiten als Begräbnisplatz benutzt, aber völlig in Vergessenheit geraten war. Es ist wahrscheinlich, dass man dabei auf den schon lange gesuchten sogenannten „Lorenzkirchhof" gestoßen war. Derselbe wird ausdrücklich im zweiten Kirchenbuch (1788/1813) erwähnt. Bei dieser Erwähnung ist aber von jüngerer Hand-schrift die Frage gestellt: „Wo lag dieser Lorenzkirchhof?" Die 1837 vorgefundenen Spuren scheinen auch ihre Bestätigung zu finden durch die Erzählung eines alten Calbensers, des Kriegsveteranen Eggebrecht, der auf dem Gelände des jetzigen Sportplatzes hinter dem von Alvenslebenschen Friedhofe (auf dein seiner Kindheit mit anderen Jugendgespielen Menschengebeine und Schädel gefunden m Petersberg) haben will. Aber genau läßt sich die Lage des Lorenzkirchhofes wie auch der fraglichen Peters- und Laurentiuskapellen nicht feststellen Calbe a. M. und Calbe a. S. nehmen beide für sich die Laurentiuskapelle in Anspruch. Fest steht aber bestimmt, beurkundet durch das zweite Kirchenbuch, dass es in Calbe a. M. einen Lorenzkirchhof gegeben hat. Herr Mittelschul- Lehrer J. Müller hat einen alten gefundenen Kirchenschlüssel im Besitz, welcher zu einer der beiden Kapellen in Beziehung gebracht werden kann. Auch war das Gelände von der städtischen Gasanstalt bis zur Bahnhofstraße früher bestimmt kirchliches Eigentum, auf welchem die einzelnen geistlichen Institute ihre Gärten besaßen.

Die vorstehenden Angaben erheben keineswegs den, Anspruch, restlos erschöpfendes Material zur Geschichte der Nicolaikirche in Calbe a. M. gebracht zu haben. Sie wollen nur bescheidene Beiträge aus alter Zeit liefern.


Quelle:
Entnommen einem Aufsatz von Pfarrer Mosenthin veröffentlicht in 11 aufeinanderfolgen Artikeln in den Altmärkischen Nachrichten zu Calbe 1934 mit einigen Ergänzungen von Henning Krüger

 
 
 
 
 
   
  
 

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