Das Handwerk Die sich im Mittelalter vollziehende Bildung eines selbständigen Handwerks, das nicht nur für einen Grundherrn,
sondern für den Markt bzw. für Kundschaft arbeitete, hat nicht unwesentlich zu der Entwicklung der mittelalterlichen Städte
beigetragen.
Wir sehen, wie sich die Handwerker eines Gewerbes zu Verbänden zusammen schließen, die wir unter dem Namen Gilden, Innungen
oder Zünfte kennen um nach selbstgegebenen Gesetzen zu leben und zu arbeiten. die Gesetze Innungsartikel genannt, bedürfen
der Bestätigung durch die Obrigkeit, um Gültigkeit zu erlangen.
In größeren Städten mit einer zahlreichen Handwerkerbevölkerung spezialisierten sich die Handwerker dann entweder nach dem
verarbeiteten Rohstoff (Wollweber und Leineweber) oder der Art der Arbeit (Grobschmiede und Kleinschmiede). Die Innungen
hatten in größeren Städten auch eine militärische Aufgabe zu erfüllen, nähmlich in geschlossenen Verbänden an der
Verteidigung der Stadt teilzunehmen.
Kommunalpolitisch waren die Innungen anfänglich ohne große Bedeutung, da das Regiment der Stadt in den Händen der
Geschlechter, der Ratsverwandten lag. Hierzu gehörten die großen Kaufmannsfamilien und der Stadtadel. In Kalbe lief dies
alles etwas kleiner ab, viele Handwerker waren Ackerbürger, die neben ihrem Handwerk noch ein wenig Land bestellten.
In größeren städten gelang es den Handwerkern mit zunehmendem Wohlstand, im Rat der Stadt durch Zunftgenossen vertreten zu sein.
In Bezug auf ihren Nachwuchs hatten die Innungen feste Regeln, indem sie unehelichen Kindern, sowie den Kindern von
Stadtpfeifern, Schäfern, Zöllnern, Badern, Barbieren, Scharfrichtern und Abdeckern, die man als unehrliche Leute bezeichnetet,
den Zugang zum Handwerk versperrte. Es wurde die Vorlage eines Geburtsbriefes von dem zukünftigen Lehrling verlangt,
durch welchen die Herkunft nachgewiesen werden mußte.
In manchen Orten fand man in den Geburtsbirefen bzw. in den Verhandlungsniederschriften, auf Grund deren der Geburtsbrief ausgestellt wurde,
die Redewendung "im Ehebett erzeugt", wonach also Kindern, die vor der Heirat erzeugt waren, vom Handwerk ausgeschlossen waren.
Die Angaben des Geburtsbriefes mußten von zwei Zeugen beschworen werden.
Zwar hatte der Kurfürst Friedrich Wilhelm durch Verordnung vom 28. August 1654 den Kreis der vom Handwerk ausgeschlossenen Kinder verengt,
bestehen blieb der Ausschluß von unehelichen Kindern, Kindern von Scharfrichtern, Abdeckern und fahrenden Leuten, bestehen blieb
dementsprechend die Forderung des Geburtenbriefes. Neben diesen gab es auch noch andere den Zugang zur Innung erschwerende
Bestimmungen.
1. Manche Innungen bezeichnete man als geschlossene, weil sie nur eine bstimmte Anzahl von Meistern zur
Innung zuließen. Die übrigen Handwerker mußten solange Geselle bleiben, bis ein Meiser starb oder sein Gewerbe einstellte.
2. Für Meistersöhne, Freier von Meisterwitwen oder Meistertöchtern bestanden in vielen Innungen Erleichterungen beim Meitsterwerden.
Nicht alle Handwerker in Kalbe waren zu eigenen Innungen zusammengechlossen, sondern viele waren in Salzwedel organisiert.
Eigene Innungen hatten die Leineweber, Tischler und Maurer- Leider sind ihre Gildebriefe im Dreißigjährigen Kriege ein
Raub der Flammen geworden, wie es ja auch mit den Priviliegien der Stadt geschehen ist. Doch sind Einzelvorgänge erhalten geblieben,
die uns einen Einblick in das Leben der kalbenser Handwerker gewähren. Im Folgenden sind einige wieder gegeben.
A) Am 30. Januar 1738 richtet die Innung der Stell- und Rademacher zu Salzwedel an das Generaldirektorium die nachfolgende Eingabe
In den zwei Meilen von hier gelegenem Flecken Calbe haben Hanß Maaß und Joachim Plönnings, welche sich beyderseits als
Rademacher ausgeben, dieses Handwerk aber nicht gehörig gelernt haben, noch zünftig sind, ein besonderes Privilegium
gesuchet und erhalten. Da aber vorgedachte Beyde Maaß und Plönnings, keine Bürger sind, sondern nur auf einer adeligen
Coßathen-Stelle vor Calbe wohnen, mithin mit der Einquartierung und anderen Bürgerlichen Oneribus nicht Beschweret auch
Ew. Königl. Maj. Accise-Casse nichts Beytragen, dieselbe aber allergädigst verordnet, daß zwo Meister keine Gülde errichten
können, und dero allergnädigste Intention dahin abzielet, daß der Fuscherey auff dem Lande gesteuert und die Städte mit guten
und tüchtigen Handwerkern besetzt und auffgeholffen werden. Als bitten wir Ew. Königl. Maj. allerunterthänigst gehorsamst,
daß das dem Hans Maaß und Joachim Plönnies ertheilte Privilegium vor erschlichen zu halten und ihnen solches wieder abnehmen
zu laßen, denenselben auch allen Ernstes zu befhelen, daß sie es mit der hiesigen Stell- und Rademacher-Gülde, als welche
ihnen am nächsten gelegen, halten und praestanda prestiren sollen, wogegen wir ersterben.
Ew. Königl. Maj.
allerunterthänigst gehorsamste
Stel- und Rademacher-Gilde
alhier
Altmeister Caspar Fehse,
Gildemeister Hans Benecke."
Das Generaldirektorium fordert am 27. Februar 1738 die Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer zur Berichterstattung auf,
welche Ihrerseits den Kriegsrat Cramer beauftragt. Dieser äußert sich am 11. Juni 1738 dahin, daß den beiden Stellmachern
das Privilegium wieder abgenommen werden kann und sie sich in Salzwedel anschließen sollen. Nach den königlichen Verodnungen
müssen mindestens drei Meister eine Innung bilden. Das Innungprivilegium haben sie nicht durch den ehemaligen Commissarius
loci (den für den Ort zuständigen Kriegsrat) beantragt, sondern einen anderen erschleichen lassen, darauf ergeht an Cramer
der Befehl, Abschrift des Privilegiums einzusenden. Es ist das "General-Privilegium und Gülde-Brief des Stell- und Rademacher
Gewerke für die Chur- und Mark Brandenburg dies- und jenseits der Elbe, insonderheit des Stell- und Rademachergewerke zu
Calbe an der Milde. Berlin, den 5. Mai 1734."
"Ferner ergeht an Cramer der Befehl, das Original des Privileges an sich zu nehmen und solange aufzubewahren, bis sich mehr
Meister finden. Darauf schalten sich die von Alvensleben ein und zwar am 6. Oktobr 1738.
Sie schreiben:
1. Am 20. März 1733 ist von dem damaligen Commissarius loci, dem Geheimen Rat Hartmann ein Schreiben
gekommen, daß die Gilde-Privilegien gedruckt und für 3 Tlr. zu haben sind. Die Altmark hat durch ihrn Landeshauptmann
192 Tlr. vorschußweise einsenden müssen.
2. Beide Stellmacher, der Rat der Stadt und die von Alvensleben, haben gefragt, ob sie auch ein
Gildeprivilegium nehmen müßten, da auch in den Dörfern des Kalbischen Werders und in den benachbarten Lüneburgischen Dörfern
Stell- und Rademacher sind, die mit ihnen die Gilde halten wollen.
3.Dem Städtchen Kalbe wird durch die Morgensprachen und was sonst mit der Gilde zusammenhängt, Nahrung und
dem König Akzise zugewendet.
4. Die von Alvensleben verwundern sich über das Verhalten der Salzwedeler Innung, die von ihrem unruhigen
Morgenspracheherrn, dem Vertreter des Magistrats, aufgehetzt sind. Sie bitten, den Stellmachern das Innungsprivilegium zu
belassen."
Auf die Anordnung an Cramer, zu berichten, fügt derselbe seinem Bericht ein Gesuch dreier Landmeister,
nähmlich der Stellmacher Claus Beese in Winterfeld, Claus Tietsche in Saalfeld und Jacob Steffens in Baars
vom 16. Oktobr 1738 bei. Sie schreiben, daß sie sich seit 1734 zur Stellmachergilde in Kalbe gehalten, einen Beitrag zur
Einlösung des Gildeprivilegs geleistet und regelmäßig das Quartalsgeld entrichtet haben. Die Gilde ist bis auf dreißig
Meister, darunter auch Lüneburgische angewachsen. Sie bitten, falls sie nicht selbständige Innung bleiben können, daß die
Salzwedeler Innung nicht das bisher gezahlte Quartalsgeld noch einmal fordern kann und daß sie bis zum nächstjährigen
Trinitatissonntag in Kalbe bleiben können, da sie nur einmal im Jahr Morgensprache halten, nähmlich am Trinitatussonntag.
Darauf ergeht an die Kurmärkische Kammer am 24. Juni 1739 der Befehl zur erneuten Berichterstattung.
Trotzdem die von Alvensleben sich noch mermals einschalten, wird am 12. August 1739 vom Generaldirektorium
abgelehnt, die Kalbenser Innung bestehen zu lassen. Die beiden Kalbenser Stellmacher sollen in die Stadt ziehen und
Bürger werden. Wenn sich ein oder mehrere Stadtmeister finden, sollen sie ihr Privileg zurückbekommen. Bis dahin haben sie
und die übrigen Landmeister sich zur Salzwedeler Innung zu halten.
B) Am 13. November 1766 bittet der Kriegsrat Schmelzeisen das Generaldirektorium, dem Nadlergesellen Johann Nicolaus
Arnold zu Kalbe die zur Erlangung des Meisterrechts nötigen Wanderjahre zu erlassen. Zur Begründung führt er an: Arnold will
sich bei der Nadler-Innung zu Salzwedel als Mitmeister melden. Er hat aber nicht wandern können, da er nach dem Tode seines
Vaters seiner Mutter habe als Geselle helfen müssen. Die Gilde in Salzwedel hat am 6. November bescheinigt, daß sie nicht
nur nichts einzuwenden hat, "Sondern ihnen auch bekannt sei, daß er die Profession gehörig und tüchtig erlernt hat".
Schmelzeisen fügt seinem Gesuch weiter noch den Regimentsabschied, die Entlassung aus dem Enrollement bei.
Am 10. Dezember 1766 erfolgt dann die Befreiung Arnolds von den Wanderjahren. Darauf ergeht dann am 24. Dezember seitens der
Kriegs- und Dömänenkammer an Schmelzeiesen:
"Nachdem wir inhalts copeylich anliegenden Rescripti dem Nadler Johann Nicolaus Arnold zu Calbe von den Wanderjahren
allergnädigst dispensieren, so habt ihr zu verfügen, daß derselbe praestitis praistandis (nach Ableistung des Meisterstücks
und der damitverbundenen Abgaben) bey dem Salzwedelschen Nadlergewerk zum Mitmeister angenommen werden."
C) Am 13. Juni 1774 bittet der Kriegsrat Weyde, den Glasergellen Johann Friedrich Dannehl, der sich an seines
verstorbenen Vaters Stelle als Glasermeister in Kalbe niederlassen will, von den noch fehlenden zwei Wanderjahren zu befeien.
Die Glaser- Innung zu Salzwedel, vertreten durch den Altmeister Johann Joachim Rüdiger und den Ladenmeister (Meister der die
Innungslade in verwahr hat) Johann Peter Hammer und ihren Morgenspracheherrn, bescheinigt, daß sie da ihr Dannehl als
tüchtiger und brauchbarer Glaser bekannt, nichts einzuwenden habe und ihn nach Ablegung des Meisterstücks zum Mitmeister
annehmen wolle. Auch der Regimentsabschied liegt bei. Er lautet:
"Da der Cantonist Johann Friedrich Danehl, aus Calbe a.d. Milde gebürtig, sich daselbst als Bürger und Glaser Meister an
seines Vaters Stelle zu etablieren gewillet, so wird er hiermit von allem Enrollement des Regimentes befreyet und der
Abschied ihm ertheilet, doch mit dem Vorbehalt, daß er sich binnen Jahr und Tag auf vorbeschriebenen Art zu Calbe an der
Milde etablieret und sich verheyratet, ansonsten dieser Abschied von keiner Gültigkeit seyn soll.
Stabs Quartier Tangermünde, den 29. April 1774.
Sr. Königl. Maj. von Preußen
den Manstein.
bestellter General Major
und Oberster über ein Reg.
Cürassier, auch Amshauptmann
zu Tilsit und Köslin
Die Altmärkische Kammerdeputation - eine solche ist zur Erleichterung des Geschäftsgangs eingerichtet - in Stendal befürwortet
am 16. Juni 1774 das Gesuch um dispens. Am 6. Juli spricht das Generaldirektorium diesen mit dem Bemerken aus, die
Kammerdeputation solle verfügen, daß Dannehl zum Meisterrecht zugelassen werde. Am 8. August erhält der Kriegsrat Weyde den
diesbezüglichen Auftrag.
D) Am 25. August 1787 bittet der Kriegsrat Lietzmann für den Leinewebergesellen Joachim Chrstoph Krüger aus
Klein-Chüden um Erlaß eines halben Wanderjahres. Zur Begründung führt er an, daß der Krüger in Kalbe einheiraten und sich
daselbst als Leinewebermeister etablieren will. Außer dem Regimentsabschied liegt die nachstehende vor dem alvenslebischen
Gesamtrichter Schultze abgegebenen Erklärung der Leineweber-Innung bei:
"Die beyden Altmeister des hiesigen Leineweber Gewercke
der Bürger Ludewig Schulze,
der Brger Christian Batge
declariren Nahmens des sämtlichen Gewercks wie sie wieder die Aufnahme des Jochim Christoph Krüger zum Mitmeister ihres
Gewerckes, des fehlenden halben Wanderjahres ohnerachtet, nichts zu erinnern hätten.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben.
Ludewig Schulze
Christoph Barecke
Schulze judex (Richter)
Auf dieses Gesuch erhielt der Kammerdeputation von dem Generaldirektorium am 3. Oktober 1787 den nachstehenden Bescheid:
"Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm, König von Preußen.
Unseren gnädigen Gruß zuvor, Wohlgeborenen, Veste, Hochgelehrte Räte, liebe Getreue. Bey den in Eurem Bericht vom 7.v.M.
angezeigten Umständen wird dem Leineweber-Gesellen Krüger aus Klein-Chüden die behufe seines Etablissements als Leineweber
Meister zu Calbe an der Milde nachgesuchte Dispensaton von dem ihm an der verordneten Wanderzeit noch fehlenden halben
Jahre hierdurch in Gnaden ertheilt, und Euch solches bey Remission (Rückgabe) der eingereichten Originalien zur weiteren
Verfügung bekannt gemacht. Sind Euch mit Gnanden gewogen, Geben Berlin, den 3.October 1787.
Auf Sr. Königl. Majestät allergnädigsten Spezial Befehl v. Mauschwitz."
In Frankreich hatte die Revolution mit sämtlichen Privilegien aufgeräumt. Darunter waren auch die Innungen mit ihren
Gildebriefen gefallen. Es wurde völlige Gewerbefreiheit proklamiert. Als nun unsere Heimat zum Königreich Westfalen
geschlagen wurde, wurde mit der Übernahme der französischen Gesetzgebung auch in der Altmark völlige Gewerbefreiheit
proklamiert. Später sind dann wieder Innungen eingerichtet worden.
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