Calbenser Notgeld Geschichtlicher Hintergrund
Als Folge des 1. Weltkriegers trat schon ab 1914 in Grenznähe, ab 1915 immer weiter greifend, eine spürbare Verknappung des Kleingeldes, also der Kupfer- und Nickelmünzen ein. "Handel und Wandel" wurden schwieriger. Klein- und Wechselgeld sind notwendig beim Kaufmann, beim Handwerker oder bei der Lohnzahlung. die staatliche Münzanstalt versuchte, mit Alu-Pfennigen und eisernen Groschen diesen Mangel zu beheben. Der Bedarf wurde damit nicht gedeckt. Darauf begannen erst die Städte, später auch kleine Gemeinden, Betriebe, Kaufleute, Handelskammern sowie andere Interessentgruppen, mit der Herausgabe von Gleingeldersatz.
Da auch Gold- und Silbermünzen abgegeben werden mußten (Gold gab ich zur Wehr - Eisen nahm ich zur Ehr), fehlten auch diese Nominale. Auch für die Wertstufen wurden z. T. noch vor Ausgang des Krieges Scheine gedruckt.
Geld zu drucken oder zu prägen war natürlich verboten. Das Recht dazu hatte nur der Staat. Die Schwierigkeiten in der Wirtschaft waren aber so groß, daß der Staat auf Antrag die Genehmigung dazu erteilte. Mit der zunehmenden Zerrüttung des Staates produzierte man dann auch ohne Genehmigung. Der Geldumlauf blähte dadurch immer mehr auf. Die Inflation steigerte sich. Etwa bis 1920 hielt sie sich noch in Grenzen, dann schwoll sie an und überrollte den Kleingeldersatz. Das Kleingeld wurde wertlos, es gab dafür nichts mehr zu kaufen.
Die Herausgeber von Gutscheinen, Wertmarken, Kriegsgeldscheinen, Behelfsgeld, als normales Geld durften sie nicht bezeichnet werden, merkten schnell, daß dieses Ersatzgeld von Sammlern gesucht und bezahlt wurde. Das Geschäft wollte sich keiner entgehen lassen. Es wurde kräftig weiter gedruckt, neue Ausgaben mit Bildern, Heimatmotiven und Geschichten, schön bunt und in Serie (Nepp- oder Spekulationsgeld). Die leere Kasse sollte damit aufgebessert werden.
Auch diese Entwicklung wurde von der Inflation eingeholt. Anfangs wurden diese Serien noch zum Nominalwert gehandelt, später dann zu Inflationswerten verkauft. Ein regelrechter Großhandel mit Mengenrabattt usw entstand.
Zu Beginn schildert Otto Reuter diese Situation auf dem 10. Pfg.Schein der Stadt Gardelegen treffend:
Tein Pennig gilt' dit Stück Papier
Elf Pennig kreeg' de Drucker hier.
Nu könnt' wi binoh gaornich faot'n
Woto hämm wi dat drucken laot'n.
Ende 1922 bis Ende 1923 war dann die Hochinflation. Es gab nur noch Großgeldscheine. 133 Druckereien - 39 Papierfabriken waren ausschließlich mit Gelddrucken beschäftigt. Über 85.000 verschiedene Geldscheine sind aus dieser Zeit bekannt. Mit der Einführung der Rentenmark um die Jahreswende 1923/24 endete dann dieser Spuk.
1 Rentenmark = 1 Billion = 1.000.000.000.000 Mark !
Für unsere heutigen Verhältnisse unvorstellbar.
Die Calbenser Notgeldausgaben
Die Notgeldentwicklung 1918/23 war in den Großstädten und Industriegebieten wesentlich breiter gefächert
als auf dem flachen Lande. In Stendal - Salzwedel - Gardelegen - war auch mehr Bedarf als in Calbe Milde, Bismark oder
Klötze. Hier in Calbe an der Milde kannte jeder jeden, da half man sich aus, da verrechnete man beim nächsten Einkauf,
wenn kein Wechselgeld da war. Oft wurde auch auf Getreidebasis verrechnet. Trotzdem muß bereits im Herbst 1918 ein deutlicher
Engpaß beim Kleingeld bestanden haben.
Im "Altmärkischen Intelligenz- und Leseblatt", das Amtsblatt für den Kreis Stendal, wird dazu in der Ausgabe vom 06.
Dezember 1918 berichtet: "Die Stadtverordnetensitzung vom 04.12.1918 in Calbe/Milde beschloß die Beschaffung von Kleingeld
zu 50 - 10 - 5 Pfennig von der Handelskammer Halberstadt."
Die Handelskammer Halberstadt hat also als Interessenvertreter des Handels genehmigte Kleingeldscheine drucken lassen,
die wie der Aufdruck zeigt, im gesamten Regierungsbezirk Magdeburg Gültigkeit hatten. Die Handelskammer Halberstadt hat
ebenfalls noch im Dezember, zusammen mit der Handelskammer Magdeburg, 5 - 20 - 50 Mark Scheine auf Antrag von Kreisen und
Städten ausgegeben.Dies bestätigt eine Meldung in der gleichen Zeitung (Dezember 1918): "Das
neue Notgeld für den Landkreis Stendal 5 - 20 - 50 Mark der Handelskammer Magdeburg und Halberstadt."
Der erste Gültigkeitszeitraum lief vom 01.12.1918 bis 01.02.1919 (Dezember 1918/Januar 1919) der zweite vom 01.02. bis 01.04.1919
(Februar/März). die Verlängerung wurde jeweils wieder in der Zeitung bekanntgemacht.
Diese Scheine waren von sehr guter Qualität (Papier und Druck) und daher auch nicht billig in der Herstellung. Dieses
bewog dann die Hauptinteressenten, Handel und Gewerbe, sich selbst in regionalen kleinen Druckereien, einfaches und
billiges Ersatzgeld zu beschaffen.
Diese 5 - 10 - 50 Pfennig Scheine von der Handelskammer Halberstadt, sind somit das erste Notgeld in Calbe/M gewesen.
Nach einem knappen Jahr tauchten Stimmen auf, in Calbe /M eigenes Notgeld auszugeben. In dem 1919 gegründeten Regionalblättchen "Anzeiger für die Drei-Kreis-Ecke" vom Druckereibesitzer Adolf Lies lesen wir am 20. März 1920:
Lokale Nachrichten Calbe a.d. Milde, den 19. März
Am Dienstag Abend fand im Schützenhaus eine Versammlung hiesiger Handwerker und Gewerbetreibender zwecks
Beschaffung von Wechselgeld statt. Etwa 20 Herren waren anwesend. Herr Paul Ahrend eröffnete die Versammlung und wies auf
den herrschenden Mangel an nötigem Kleingeld hin, dieser sei in letzter Zeit derartig bemerkbar geworden, daß man sich
genötigt sehe, zur Selbsthilfe zu schreiten. Hartnotgeld, wie es z. B. der Kreis Gardelegen herausgegeben habe,
verursacht zu hohe Anschaffungskosten. Man müsse sich schon mit Papier bzw. leichtem Karton begnügen. Es wurde
beschlossen, Gutscheine im Betrage von 50 Pfennig, 10 Pfennig und 5 Pfennig von der Firma Ad. Lies hier anfertigen zu
lassen und zwar 5.000 Stück zu 50 Pfennig, 10.000 Stück zu 10 Pfennig und 5.000 Stück zu 5 Pfennig.
Einige Tage später, am 25. März 1920, lesen wir weiter:
Lokale Nachrichten
Die vom Verkehrsverein Calbe a.d. Milde herausgegebenen Gutscheine über 5 - 10 - 50 Pfennig gelangen bei der
Mitteldeutschen Privatbank AG, Agentur Calbe a.d. Milde vom Donnerstag ab zur Ausgabe. Für die Sicherheit und Einlösung
derselben haben in Calbe a.d. Milde die Firmen:
Wilhelm Schmidt, Gärtnereibesitzer | Fritz Zierau | H.Hoffmann |
Wilhelm Schulze | J. Kindt | C. Könecke |
O. Wede | G. Petrie | Otte Glasermeister |
Paul Ahrend | Ad. Lies | O. Baucke |
C. Flügel | R. Gent | W. Hansbach |
Max Ahrendt | F. Herrmann | H. Küster |
A. Priegnitz | W. Schmidt Schlossermeister | P. Lotsch |
Adolf Mertens | F. Möller | Fritz Mertens |
C.F. Schröder | W. Grabow | H. Hensel |
P. Behlendorf | R. Stapel | O. Lüdecke |
Kahmann und Höhne | Reinhold Otte | M. Bünnig |
O. Wernecke | Br. Rotte | Fr. Jäger |
G. Berth | G.Schulze Salzwedelerstr. | G. Nauck |
Otto Arns | Louis Becker | W.A. Lübeck |
A. Gäde | K. Lücke | R. Meinecke |
Otto Voigt | R. Schulz | F. Lühmann jun. |
G. Schulze Gerichtsstr. | Oskar Herper | K. Senff |
O. Pauls | | H. Kummert |
Die Agentur der Mitteldeutschen Privatbank befand sich bei Kaufmann Herrmann. Noch während dieser Notgeldzeit wurde daraus
die "Commers- und Privatbank" Daher gibt es alle 3 Nominale mit drei verschiedenen Rückseiten:
a) gestempelt "Mitteldeutsche Privatbank"
b) gedruckt "Mitteldeutsche Privatbank
c) gedruckt " Commers- und Privatbank"
5 Pfg gibt es in zwei Farben, blaugrün und rosa
10 Pfg. in gelb/bräunlich
50 Pfg, in blau/grün
Alle drei Gutscheine: Material leichter Karton Größe 5,9 mal 3,6.
Die laufenden Nummerierungen zeigen uns, daß die ursprüngliche Ausgabemengen nicht eingehalten wurden. Die Originale
weichen in Farbe, im Druck und Unterdruck teils voneinander ab. Ein Zeichen dafür, daß der Druck mehrfach erfolgte und
auch Papier und Farbe sich veränderten.
Neben diesen Ausgaben des "Verkehrs-Verein's Calbe/Milde" hat der damalige Wirt vom " Schützenhaus" Calbe Milde H Küster, 3
Geldersatzmarken ausgegeben. 10-25-50 Pfennig ohne Datum. Farbe und Form der 10 Pfennig Gutscheine sind nicht bekannt, nachgewiesen aber im Kellerkatalog (25 und 50 Pfenning Gutschein hier im Bild).
Notmünzen oder Ähnliches ist in Calbe/M nicht herausgekommen.
Nachem die Zeit des echten Kleingeldersatzes von der Inflation überrollt war und der Übergang zum Nepp- oder Spekulationsgeld erfolgte, versuchte auch
Calbe/Milde sich am "Geschäft" zu beteiligen.
Im Herbst 1921 bildete sich ein Notgeldkonsortium zur Herstellung künstlerischer Notgeldscheine für die Milde Stadt.
Es wurde ein Preisausschreiben ausgeschreiben für die entsprechenden Entwürfe.
Dazu lesen wir im "Anzeiger der Drei-Kreis-Ecke" vom 05.11.1921:
Lokale Nachrichten Calbe a.M. 02. November 1921
Notgeld Preisauschreiben
In ihrer gestrigen Sitzung berieten die gewählten Preisrichter des Notgeldkonsortiums über die Bewertung der eingegangenen
Entwürfe und Ideen zur Herstellung künstlerischer Notgeldscheine für die hiesige Stadt.
Preisrichter waren folgende Herren:
Kaufmann Herrmann Gärtnereibesitzer Schmidt
Kaufmann Petrie Steinmetzmeister Bollinger
und Bautechniker Lühmann jun.
Eingegangen waren 9 Entwürfe bzw. Vorschläge. Mit dem 1. Preis bewertet wurde der Entwurf unseres Heimatkünstlers P. Sannemann.
Der 50-Pfennig-Entwurf zeigt in der Mitte die Burgruine, zu beiden Seiten steht folgender Spruch:
Wahrzeichen alter grauer Zeit,
warst Zeuge von Frohmut und Herzeleid,
wirst Deutschlands Wiederaufstieg erleben.
Die beiden anderen Scheine zeigten in der Mitte eine Partie an der Milde und sind ebenfalls mit sinnigen Versen eingekleidet.
Den 2. Preis erhielt der Entwurf des Herrn Lehrer O. Pfannenschmidt in Jeetze. Diese Idee gründet sich auf ein historisches Ereignis, welches sich vor etwa 100 Jahren hier abspielte. Zur Zeit der französischen Besatzung hatte auch unsere Stadt eine feindliche Besatzung erhalten. Der berühmte Künstler und Seiltänzer Weitzmann besuchte auch oft unsere Stadt. Er spannte ein Seil vom Kirchturm bis zu den gegenüberliegenden Häusern und balancierte auf dem Seil entlang. Bei einer dieser Schaustellungen fiel es der übermütigen Besatzung ein, das Tau in eine schaukelnde Bewegung zu versetzen, um den Künstler zu Fall zu bringen. Weitzmann hatte jedoch in seinem Gürtel eine Waffe stecken und schoß in die Besatzungstruppe blindlings hinein. Die Bürgerschaft nahm für Weitzmann Partei und jagte die Franzosen zur Stadt hinaus. Weitzmann wurde später verhaftet und sollte vor ein Kriegsgericht gestellt werden, trotz einer an den französischen Kaiser gerichteten Bittschrift der hiesigen Bürger.
Die Befreiung von der Fremdherrschaft brachte auch Weitzmann die Freiheit. Bei seiner Rückkehr wurde er von den Calbenser Bürgern feierlich empfangen.
(Vergl. Hesselbarth Altmark)
Diese Idee wurde dem Künstler Herrn P. Sannemann zur Mitverwertung übergeben und wird derselbe gebeten, neue Entwürfe unter Berücksichtigung dieser Idee anzufertigen.
Sehr gut waren noch die Entwürfe mit dem Kennzeichen "FM 1880" und "H.J." Besonders gefielen die Entwürfe der Schüler H. Reek, Bendler und Holländer, die gute technische Talente verrieten.
Das Notgeld-Konsortium hofft, in absehbarer Zeit mit der Ausgabe der künstlerischen Notgeldscheine beginnen zu können und dürften diese Serien namentlich in Sammlerkreisen sehr begehrt werden.
Das ursprüngliche Interesse daran sank scheinbar wieder ab.
Unter dem 17. Dezember 1921 lesen wir im "Anzeiger für die Drei-Kreis-Ecke"
... Zwecks endgültiger Beschlußfassung über die Herausgabe künstlerischen Notgeldes nach den Entwürfen des Herrn P. Sannemann werden die Mitglieder der Verkehrsvereins gebeten, am Montag dem 19. Dezember 1921 8 1/2 Uhr, im Voigt'schen Lokale zu erscheinen. Nur bei äußerst zahlreicher Beteiligung ist es möglich, diesbezügliche Beschlüsse zu fassen.
Das Notgeld-Konsortium des Verkehrsvereins Calbe i.A. Lühmann jun.
Wegen Mangel an Beteiligung unterblieb dann diese Emission. Leider sind die Entwürfe bisher nicht wieder aufgetaucht.
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